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Mein Name ist Afra (German Edition)

Mein Name ist Afra (German Edition)

Titel: Mein Name ist Afra (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Dopfer-Werner
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plötzlich eine atemlose Stille, und Richlint und ich saßen mit gesenktem Kopf und wollten uns nicht ins Gesicht schauen.
    Da ergriff Justina unsere Finger der linken Hand und legte sie aufeinander, umschloß sie eng mit ihren beiden Händen und sprach mit leiser, aber fester Stimme zu uns. „Keine von uns dreien weiß, wie dieser unselige Krieg enden wird, und keine unter uns kann am heutigen Tag sicher sein, auf der Seite der Sieger zu stehen. Aber jede von uns Frauen hat ihre eigene Entscheidung getroffen und besitzt auch die Kraft, sie zu tragen. Es ist zu spät für Richlint, um noch einen anderen Weg einzuschlagen, denn die Verbindung zwischen Arpad und ihr ist vollzogen, und das ungeborene Kind ihrer Liebe bewegt sich schon in ihrem Leib und will geboren werden. Es ist zu spät, um über vergangene Gelegenheiten oder Hoffnungen für die Zukunft nachzudenken, denn wir Menschen lenken nicht das Schicksal dieser Welt, und was geschehen soll, das wird auch geschehen, denn alles steht unter einem göttlichen Stern. Aber es ist niemals zu spät für Freundschaft und Liebe, denn sie überdauern unser irdisches Leben und den Tod und wirken darüber hinaus, und deshalb nehme ich eure linken Hände, die dem Herzen am nächsten sind, und ich lege sie ineinander, damit ihr die Verbindung zwischen euch spürt und euch dieser Stärke immer bewußt seid, und nicht das Leben und nicht der Tod werden euch jemals trennen!“
    Den ganzen Sinn von Justina´s Rede habe ich an diesem letzten gemeinsamen Nachmittag im Badehaus des welschen Gutshofs nicht verstanden, und auch noch lange nach Richlint´s Tod und dem Ende des Krieges bedeuteten mir ihre Worte nicht mehr als viele andere. Doch heute weiß ich, daß unsere schwarzhaarige Heilerin und Freundin die seltene Gabe des Vorausschauens hatte und daß sie schon damals spürte, wie das Schicksal über uns drei Frauen entscheiden würde, und der Sinn ihrer Gedanken und Worte war rein und wahr.
    Im Laufe der folgenden Monate fiel ein rebellischer Graf und Herzog nach dem anderen von den Aufständischen um den Schwabenherzog Liudolf wieder ab und kehrte mit seinen Mannen zum König zurück, und als ein großes ungarisches Heer sich auf den Weg nach Baiern machte, um König Otto endgültig zu besiegen und zu vernichten, versöhnte sich auch sein Sohn Liudolf und sein Bruder Heinrich wieder mit dem Herrscher unseres Landes und schloß sich reumütig dem Reichsheer an. Vereint und mit all ihrer Macht wollten sie diesmal die Heiden schlagen und in die Flucht jagen, auf daß diese Reiterkrieger nie wieder einen Fuß auf unseren Boden zu setzen wagten, und in dem kleinen Dorf Pitengouua im Ambragau wurde dies mit Jubel und Erleichterung begrüßt.
    Meine Freundin Richlint stand vollkommen allein, aber ich folgte den Worten von Justina und behielt ihre Hand in der meinen.
    Ω

Das erste Licht des Tages stieg zögernd und langsam am östlichen Himmel empor, hob die verschwommenen Umrisse der Zelte und Fahnenstangen aus dem Dunkel der Nacht und brachte die bis dahin ruhig grasenden Pferde in den hölzernen Gattern zwischen den Zelten zum Schnauben und Stampfen. Dichte Nebel lagen über den Büschen und Bäumen der Niederung des Flusses, in der das Lager der ungarischen Reiter errichtet war, und sie wichen nur langsam fallend dem hellen Licht des anbrechenden Tages. Die Krieger erhoben sich vom Sattellager, müde und erschöpft nach ihrem tagelangen, erfolglosen Ansturm auf die ummauerte Stadt, und sie schauten nach den aufgeregten Rössern, um die Tiere mit leisen Worten zu beruhigen, und streiften im Vorbeigehen mit den Händen den Tau von Gräsern und Sträuchern und benetzten mit dem kühlen Naß ihre angespannten Gesichter.
    Auf einem kleinen Hügel abseits vom Zeltlager stand ein hochgewachsener Mann in voller Rüstung neben einem graubraunen Pferd, das ruhig und wie aus Stein gemeißelt verharrte, während sein Herr die dunklen Augen unter dem eisernen Helm mit dem Roßschweif nachdenklich über das Lager und die Landschaft schweifen ließ. Eine Hand hatte der langhaarige Mann auf die Kruppe des Tieres gelegt, wie um sich festzuhalten, und mit der anderen umfaßte er den Schaft seiner eisenbeschlagenen Lanze so stark, daß die Fingerknöchel weiß hervortraten und die blauen Adern wie dicke Schnüre am tätowierten Unterarm entlang liefen. 
    Die grausamen Bilder der letzten Tage zogen unerbittlich und in voller Schärfe an seinem inneren Auge vorbei, obwohl er sie vergessen und

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