Mein Name ist Afra (German Edition)
Vielfaches überlegen und sich deshalb ihres Sieges gewiß.
Eine seltsame Stimmung herrschte in diesen Tagen im Dorf. Wir lebten wie abgeschnitten von der übrigen Welt hinter unseren Schutzzäunen und Dornenhecken, und keine Nachricht über den Stand des Krieges und den Verbleib der Männer aus unserem Gau erreichte uns außer den wenigen Worten des zerlumpten Bettlers, der nur auf Treu und Glauben weitererzählte, was ihm andere berichtet hatten. Keiner von uns getraute sich mehr, Pitengouua zu verlassen und nach Bobinga oder Dornau zu reiten, um nicht herumstreifenden feindlichen Horden in die Hände zu fallen, und Eilika mit ihren Kindern und der alten Uoda zog vom Meierberg herunter ins Dorf, um mit uns zu warten und zu beten. Auch Liutbirc war gekommen, denn sie fürchtete sich allein mit den Mägden auf dem Dornauer Gutshof, nachdem Arbeo und Aistulf mit ihren Knechten zu den Truppen des Königs gezogen waren und sie lange nichts mehr von ihnen gehört hatte. Alle diese Menschen drängelten sich im Meierhof und in der Schmiede voller Sorge zusammen, und die Gebete meines frommen, alten Vaters tönten von Sonnenaufgang bis zur späten Nacht im Haus und beruhigten mich nicht. In der kleinen Holzkirche knieten der Priester und die Frauen und baten Gott und alle Heiligen um ihren Beistand, und dabei zündeten sie so viele Kerzen an, daß die Luft noch heißer und stickiger wurde und ich kaum noch atmen konnte. Ungewißheit und nagende Angst bestimmten diese heißen Tage in Pitengouua, und ich ließ meine Kinder Ella und Agilolf keinen Augenblick mehr allein und überlegte verzweifelt, wie ich sie beschützen könnte.
Auch Richlint wartete mit uns, sie wartete auf die Geburt ihres Kindes und auf eine Nachricht von ihrem Geliebten, und wenn sie hinten in der Kirche stand und betete, dann wußte keiner unter uns, wem ihre Fürbitten und Gebete galten, dem König oder dem Feind. Doch niemand verwehrte ihr den Zugang zur Kirche oder zum Meierhof, und die böse Hetze gegen meine Freundin war verstummt und betretenem Schweigen gewichen. Keiner schaute ihr in die Augen oder richtete das Wort an Richlint, außer Justina und mir, und Liutbirc und Uoda gingen ihr mit gesenkten Augen aus dem Weg und vermieden es, im gleichen Raum mit meiner Freundin zu sein.
Am Abend des zehnten Augusts kam endlich Arbeo von Dornau erschöpft und todmüde nach Pitengouua, und wir versammelten uns im Hof vor dem Meieranwesen, weil die Stube viel zu klein für so viele Menschen war und alle den Bericht von Arbeo hören wollten. Leonhard hatte Pechfackeln in die Erde gesteckt, um die Dunkelheit der anbrechenden Nacht zu vertreiben, und im flackernden Licht saßen und standen Männer und Frauen, Knechte und Mägde und die Kinder des Dorfes dicht gedrängt um Arbeo und lauschten angespannt den Worten des Dornauers.
„Noch ist nichts entschieden!“ begann der Gutsherr seine Erzählung, und ein schmerzvolles Aufstöhnen erklang daraufhin unter den Wartenden. Dann prasselten die Fragen so wild durcheinander auf Arbeo ein, daß der Meier fast mit Gewalt für Ruhe sorgen mußte, bevor der müde Arbeo fortfahren konnte. „Ich erzähle euch alles, was ich weiß und mit eigenen Augen gesehen habe, Leute von Pitengouua, aber ihr müßt still sein und ruhig zuhören, weil meiner Stimme die Kraft fehlt nach diesen schrecklichen Tagen, und weil ich so müde und zerschlagen bin wie noch nie in meinem Leben!“
Mit Agilolf auf dem Schoß und Ella dicht an meiner Seite saß ich inmitten all der besorgten Menschen, und es herrschte eine atemlose Stille, als der Dornauer zu erzählen begann.
„Die Ungarn kamen vor wenigen Wochen in so großer Zahl nach Baiern, wie keiner es für möglich gehalten und je vorher gesehen hatte. Sie verwüsteten das Land von der Donua bis zum Schwarzen Wald beim Gebirge, brannten Dörfer und Kirchen und Klöster, und dann setzten sie über die Lecha und drangen in Schwaben ein. Bei der Stadt Augusburc sammelten sie ihre Truppen und steckten die Kirche der heiligen Afra in Brand, die vor den Toren der Stadt liegt, und wir Krieger standen mit dem Bischof hinter den niedrigen Mauern von Augusburc und sahen gelbe und rote Flammen wie feurige Zungen aus dem Haus der Heiligen lodern und hörten das schaurige Gebrüll der plündernden Barbaren. Die Leute des Bischofs und wir anderen Männer, die unter seinem Bruder Graf Dietpald kämpften, wollten hinaus aufs freie Feld und den Heiden entgegentreten, doch Udalrich erlaubte uns
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