Mein Name ist Afra (German Edition)
anstatt sein eigenes Leben zu schützen und sich tiefer ins Gebüsch zurückzuziehen, schlich er sich auf Händen und Füßen, von den Zweigen der Sträucher halbwegs gedeckt, immer näher an den fränkischen Herzog heran. Deutlich konnte er die wilden Augen und den roten Bart des Franken erkennen und seinen schweren Atem hören, und wie unter einem schicksalhaften Zwang griff er nach dem Bogen über seiner Schulter und löste einen spitzen Pfeil aus dem Lederköcher.
Als der Herzog, erhitzt durch das Gefecht und die Glut der Sonne, die Bänder seines Panzers löste und den eisernen Helm abnahm, um nach Luft zu schöpfen, siegesgewiß und sich keiner drohenden Gefahr bewußt, da schwirrte aus dem Gebüsch schnurgerade ein scharfer Pfeil heran und durchbohrte seine ungeschützte Kehle. Wie vom Blitz getroffen stürzte der fränkische Herrscher reglos zu Boden und war tot, und erstarrt standen seine Männer neben der Leiche und konnten dieses Unglück nicht begreifen.
Afra
Ich bin am Ende meiner Geschichte angelangt, und es bleiben die letzten Tage im Dorf vor Richlint´s Tod, von denen ich noch erzählen muß. Doch es ist schwer, die richtigen Worte zu finden und allen Menschen nach so langer Zeit gerecht zu werden, und ich brauche meine ganze Kraft und meinen ganzen Willen, um mich an diese schwarzen Stunden zu erinnern.
Es fällt mir nicht leicht, vom Ende des unseligen Bruderkrieges zwischen dem König und seinem Sohn zu berichten, von der Versöhnung aller deutschen Stämme und dem vereinten Haß auf die Ungarn, und von der großen Schlacht gegen die heidnischen Reiterkrieger, die unser Volk gemeinsam geschlagen und gemeinsam gewonnen hat und die das Leben von uns allen von Grund auf veränderte.
Es fällt mir nicht leicht, vom eigennützigen Verhalten der Menschen in meinem Dorf zu erzählen, die nur an ihr irdisches Leben und an ihr Hab und Gut auf dieser Erde dachten und darüber meine Freundin, die eine von ihnen war, verleugneten und verrieten.
Es ist schwer, von den letzten Tagen und Stunden Richlint´s zu sprechen, von ihrer Angst um das Kind und den geliebten Mann, von ihrer Verzweiflung über den Ausgang des Kampfes und von der tiefen Enttäuschung über all die Menschen, die sie im Stich gelassen haben. Auch Justina und ich gehören dazu, denn wir haben unsere Freundin nicht in Sicherheit gebracht, als die Zeit dafür noch reichte, sondern die blutige Entscheidung der Schlacht auf dem Lechfeld abgewartet und damit ihr Leben verloren.
Am schwersten aber ist es für mich, von meiner eigenen Schuld an Richlint´s Tod zu sprechen, und doch muß ich um unser aller Frieden willen die Geschichte zu Ende erzählen, auch wenn die Tränen in meinen Augen mich blind machen und meine Stimme versagt.
Erst im Februar des Jahres 955 erfuhren wir in Pitengouua, daß der Schwabenherzog Liudolf bei einer Jagd im Saufeld die Vergebung seines Vaters König Otto erfleht hatte, im härenen Büßergewand und mit bloßen Füßen soll er die königliche Verzeihung erbeten haben, und auf dem Hoftag zu Arnstedt im Dezember 954 wurden die Herzöge Konrad von Lothringen und Liudolf von Schwaben wieder in die Huld des Königs aufgenommen und standen nun entschlossen auf dessen Seite. Doch die bairischen Adeligen wollten sich nicht damit abfinden, daß der sächsische Bruder des Königs, Herzog Heinrich, weiterhin ihr Herr sein sollte, und so kam es Anfang März zu der harten Auseinandersetzung bei Muldorf am Influß, bei der einige Männer aus unserem Gau ihr Leben lassen mußten und der bairische Aufstand vom Herzog endgültig niedergeschlagen wurde.
Trotz des Todes von Utz aus Haslach, dem blonden, freundlichen Bruder von Chuonrad, und einigen anderen Kriegern aus dem Ambragau während dieser Schlacht, und trotz der erneuten Herrschaft des verhaßten Herzogs Heinrich waren die Menschen in unserem Dorf froh und erleichtert, daß der Krieg vorüber war und wieder Einigkeit unter den Stämmen und Völkern herrschte. Recht und Ordnung waren wieder hergestellt, Otto von Sachsen war unser aller König und die ungarischen Reiterkrieger unser aller Feind, so wie schon seit vielen Jahren und solange ich denken konnte. Nach einem regenreichen Frühjahr und einem nassen Sommeranfang war das Einbringen der Ernte und der Vorräte für das Vieh unsere größte Sorge, und was sich außerhalb unseres Gaus unter den großen Herren ereignete, war für uns einfache Bauern nicht von Bedeutung, solange es nur keinen Krieg gab.
Als die
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