Mein Name ist Afra (German Edition)
herrlichen Blume, und ihre kluge Art, sich mit Dornen und Stacheln vor zuviel Aufdringlichkeit und Nähe von Mensch und Tier zu wehren. Tief sog die junge Frau den ganz einzigartigen Geruch dieser Blüten in ihre Nase, berauschte sich fast daran, und als sie endlich den Kopf der Rose aus ihren Händen wieder frei gab, hatte sie Tränen in den braungoldenen Augen stehen.
Die Hündin hatte die Frau genau beobachtet, und als sie jetzt deren Trauer spürte und ein leises Schluchzen die schmalen Schultern schüttelte, stand das Tier auf und stieß zart, aber beharrlich immer wieder mit seinem breiten Schädel gegen die Schenkel der Herrin, wie um sie zu trösten oder daran zu erinnern, daß es noch andere Lebewesen gab, die ihrer Liebe bedurften. Unter Tränen lächelte nun die junge Frau, und sie kniete sich neben die Hündin auf den Sandboden und schlang beide Arme fest um das massige Tier, drückte ihren Kopf an seine Flanken und murmelte sanfte, beruhigende Worte in sein aufmerksames Ohr. Eine ganze Zeitlang saßen die Frau und der schwarze Hund nebeneinander auf der Erde, ohne sich zu bewegen, wie aus Stein, und erst als sie die Geräusche von Menschen aus den Häusern und Ställen vernahmen, standen sie beide langsam und fast widerwillig auf und verließen den Garten.
Das Anwesen der reichen Bauernsippe am Haselbach bestand aus drei großen, behäbigen Langhäusern mit Stube und Stallungen, die rings um einen kreisförmigen Platz aufgestellt waren, der von allen Bewohnern der kleinen Siedlung als gemeinsamer Hofgrund genutzt wurde. Ein mannshoher, mit spitzen Pflöcken bewehrter Zaun umschloß neben den Häusern auch mehrere Grubenkeller, einen von groben Steinmauern umfriedeten Kräutergarten und hölzerne, auf Pfählen gebaute Vorratsschuppen für Getreide und Viehfutter. Mitten durch diesen runden Platz plätscherte unentwegt der klare Bach über Kieselsteine und felsige Brocken, eine breite, aber niedrige Holzbrücke verband seine Ufer, und dicht neben dem Steg spendete eine uralte Eiche mit ihrer ausladenden Krone Schatten und Schutz. Diese mächtige Eiche war vor vielen hundert Jahren der eigentliche Grund dafür gewesen, daß sich die Ahnen der Haslachbauern in dem kleinen Tal zwischen dem dunklen Schnaitberg und dem niedrigeren, breitflächigen Rücken des Weitenschoren niedergelassen hatten, denn die Eiche war für sie der wichtigste Baum, der Sitz ihrer Hausgötter und ein Fruchtbaum, der die gedeihliche Ernährung und den Fortbestand der Sippe förderte.
„Wenn wir auch heute redliche Christen sind und nicht mehr dem heidnischen Aberglauben unserer Vorfahren anhängen,“ hatte der alte Sigiboto zu Richlint gesagt, als sie nach der Hochzeit in Pitengouua zu ihrem Mann Chuonrad ins Haslach zog, „so schätzen wir unsere alte Eiche doch nicht weniger, denn sie ist ein Zeichen für die Stärke und die Kraft der Männer aus unserer Sippe. So hat es bei uns in jeder Generation gesunde und kräftige Söhne gegeben, mehrere Söhne zumeist, und ich weiß, daß auch du meinem Sohn Chuonrad unter dem Schutz dieses Lebensbaums männliche Erben und Nachfolger gebären wirst!“
An diese jeden Zweifel oder Widerspruch ausschließenden Worte des selbstsicheren und herrischen Sigiboto dachte Richlint, als sie an einem grauen Novembermorgen am rissigen Stamm des Baumes lehnte und den Männern zuschaute, die lärmend zur Jagd aufbrachen. Der gestrenge, alte Hofherr war nicht mehr dabei, denn er war vor zwei Jahren im Winter bei einem Sprung über einen gefrorenen Bachlauf so unglücklich mit seinem Pferd gestürzt, daß er sich ein Bein und die Hüfte brach und durch die mit Eisen verstärkten Hufe des verletzt am Boden strampelnden Tieres, die ihn heftig in Bauch und Brust trafen, schwere Schäden im Innern seines Körpers erlitt. Nachdem er die Hilfe der Heilerin Justina widerwillig annahm, aber nur das Bein von ihr schienen ließ und ansonsten ihre lindernden und stärkenden Mittel gänzlich verweigerte, starb er unter großen Schmerzen im Bett, langsam dahin siechend und nicht schnell und heldenhaft bei der Jagd oder im Kampf gegen Feinde, wie es eigentlich sein Wunsch und eines tapferen Mannes würdig gewesen wäre. Jetzt lag er auf dem kleinen Friedhof in Pitengouua, neben der Grabstätte der Meierfamilie an der hölzernen Kirchenwand hatten die reichen Bauern aus dem Weiler Haslach ihren angestammten Platz, denn es wurde nicht mehr wie in früheren Zeiten in der Nähe der Höfe bestattet, damit die
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