Mein Name ist Afra (German Edition)
gekommen, und sie fand hier niemanden, dem sie ihr Vertrauen oder ihre Freundschaft schenken konnte. Die abhängigen Bauern und die Leibeigenen des großen Hofes hatten vor dessen Besitzern gehörige Furcht und hielten voller Scheu einen reichlichen Abstand zu ihrer strengen Herrschaft ein, was früher von Sigiboto und jetzt von seinem Sohn Chuonrad durchaus erwünscht war und als angemessen gesehen wurde, ganz im Gegensatz zu den lockeren und freundlichen Sitten in Pitengouua. Die vornehme Abstammung von Richlint als Tochter eines Grafen, ihre verschlossene und abweisende Art allem und jedem im Haslach gegenüber und ihr Betragen und Aussehen, das ganz anders als das der gewöhnlichen Leute war, trugen nicht dazu bei, sie bei den Menschen dort beliebt zu machen. Sie redete nicht viel und erzählte niemandem von sich und ihrer Familie, und ihre stets sauber und schön gekleidete Gestalt mit dem reichlichen, dunkelblonden Haar, aufgesteckt mit einer kostbaren Schmucknadel, unterschied sie deutlich von den einfachen Menschen in graubraunen Kitteln. Ihre enge Freundschaft mit der Heilerin vom alten Gut erregte Argwohn und Mißtrauen, denn Justina war den meisten Leuten mit ihrer einsamen Lebensweise und ihrem geheimnisvollen Wissen nicht geheuer und sie ängstigten sich in ihrer Anwesenheit, obwohl sie bei Krankheit und Geburt von Mensch und Vieh ihre Hilfe brauchten und auch bereitwillig annahmen. Und ausgerechnet mit dieser fremdartigen, dunklen Frau sahen die Haslachleute die sonst so stille Richlint laut lachen und plaudern, und ihr einsames Herumwandern zu nachtschlafender Zeit bekam durch die enge Freundschaft mit der Heilerin in den Augen der Leute eine besondere Bedeutung. Denn manch eine verschlafene Magd hatte die Herrin schon im frühen Morgennebel, wenn alle anderen noch auf ihrem Strohlager ruhten, am Bach oder im Kräutergarten wie eine traumhafte Erscheinung wandeln sehen, mit einem in weite Fernen gerichteten Blick und leise vor sich hin summend, die schwarze Hündin wie einen dunklen Schatten immer dicht neben sich, und sie machten dann hastig das Kreuzzeichen über Stirn und Brust, nicht sicher, ob sie ihren Augen trauen konnten oder ob ein Geist sie narrte, und sie schwiegen zu den Männern über das Gesehene und tuschelten nur mit den anderen Frauen darüber. Deshalb waren die Mägde und Bauersfrauen Richlint gegenüber scheu und zurückhaltend, und obwohl sie zu allen freundlich und gerecht war und selbst von der frühen Stallarbeit am Morgen bis zur Finsternis der Nacht beim Melken, im Gemüsegarten oder beim Weben in den Kellern dabei war und mit anpackte, wurde sie doch keine von ihnen, sondern war und blieb eine Fremde im Haslach.
Als sie jetzt vor der Tür des Langhauses kurz verharrte, spürte sie die forschenden Blicke der Magd, die auf dem Hofplatz stehengeblieben war und ihr nachschaute, deutlich im Rücken, und kalte Wut stieg in ihr empor. „Auch wenn Chuonrad auf der Jagd ist, lassen sie mich nicht aus den Augen! Sicher hat er ihnen befohlen, jeden Schritt von mir zu überwachen, er traut mir nicht, er will nicht, daß ich ins Dorf zu Afra reite oder mich wieder mit Justina treffe! Und ich mache doch, was ich will, er wird mich nicht beugen!“ Ein bitteres Lächeln verzog ihre Lippen, und entschlossen stemmte sie die Holztür auf und trat in die dämmrige, von beißendem Rauch durchzogene Stube.
Hedwig, die Mutter von Chuonrad, Utz und dem jungen Meier Leonhard, war bei weitem die älteste Frau auf dem Haslachhof. Müde und gebeugt von der strengen Herrschaft ihres verstorbenen Mannes und ausgebrannt von harter, lebenslanger Arbeit und der Geburt etlicher Kinder, von denen nur drei Söhne das Säuglingsalter überlebten, war sie kränklich und schwach geworden, und sie lag meist den ganzen Tag und die ganze Nacht klaglos auf ihrer Bettstatt nah bei der Herdstätte, angewiesen auf die Hilfe der Sohnesfrau oder der Hausmägde. Als sie jetzt im Halbdunkel der Stube die Gestalt von Richlint erkannte, erhellte ein freudiges Lächeln ihr faltiges Gesicht mit der feinen, durchscheinenden Haut, und die wasserblauen, hellwachen Augen suchten die Stimmung ihrer Schwiegertochter zu erkennen. „Richlint! Wie schön, daß du zu mir kommst!“ rief sie ihr entgegen, und die Bitterkeit und der Zorn der jungen Frau vergingen, als sie so herzlich begrüßt wurde. „Ich habe dich nicht vergessen, Hedwig, wollte nur den Männern beim Aufbruch zuschauen, und jetzt kümmere ich mich um dich! Du hast
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