Mein Name ist Afra (German Edition)
Moor, und dort soll ein heidnischer Zauberer sie in einer schwarzen Höhle mit einem festen Netz aus Spinnenfäden gefangen halten bis zum jüngsten Tag, und bis dahin muß das unschuldige Kind dem Unhold zur Hand gehen und Magddienste für ihn verrichten.
Dem Bach war sein dunkler Ursprung voller Geheimnisse unten im Tal nicht anzusehen, heiter plätschernd floß er über kleine Steine und große Felsbrocken, die sich vom steilen Berghang gelöst hatten und nun wild verstreut im Bachbett lagen, und sein Wasser war klar und kühl, durchsichtig bis zum Grund, und es tränkte die Viehherden der Haslachhöfe genauso wie ihre Menschen. Seinen Namen hatte der kleine Fluß von den vielen hohen und niedrigen Haselsträuchern, die den ganzen Bachlauf säumten, an beiden Ufern wuchsen sie eng beieinander stehend und verhießen den Menschen Nahrung und Heilmittel.
An diesem herbstkühlen Morgen lagen die Höfe am Bach noch still und ohne Laut von Mensch oder Tier im dichten Nebel der Senke, und es dämmerte gerade erst vom Osten her, als die Holztür des großen Haupthauses leise und behutsam aufgestemmt wurde und eine junge, kräftige Frau in einem roten Wollumhang und mit bloßen Füßen heraus schlüpfte und zum Bach hinunter lief. Zwischen den dicht beieinander stehenden Haselsträuchern bahnte sie sich einen Weg ans Ufer und kniete dann nah am Rand auf einem großen, flachen Stein, mit beiden Händen schöpfte sie das frische, kalte Wasser des Flusses und tauchte ihr verschlafenes Gesicht ganz hinein. Die blasse Haut der Frau färbte sich rosig, als sie vom kühlen Naß berührt wurde, und erneut schöpfte sie aus dem Bach und spülte ihren Mund und die Zähne, trank einen tiefen Schluck und setzte sich dann auf einen am Ufer liegenden, grauen Felsbrocken. Sie löste den dicken Zopf, in dem ihre goldbraunen Haare zusammengehalten wurden und schüttelte heftig die langen Flechten über die Schultern herab, und dann nestelte sie einen beinernen Kamm vom Gürtel und fuhr damit immer wieder durch das widerspenstige Haar. Mit ihren nassen Händen und dem Kamm versuchte sie die Locken zu glätten und einen neuen, ordentlichen Zopf zu flechten, und als dies endlich geschehen und er sauber um den Kopf herum aufgesteckt war, sprang sie mit einem Satz auf die Füße und lief zwischen den Häusern und über den Hofplatz auf eine kleine, grasbedeckte Anhöhe im Westen des Anwesens, von der aus sie bei klarem Wetter den Meierberg und das Dorf Pitengouua sehen konnte. An diesem Herbsttag aber hingen die Morgennebel noch zu tief und zu undurchdringlich über dem Land und versteckten die Höfe des Weilers an der Pitenach vor dem suchenden Blick der jungen Frau, und enttäuscht ließ sie die Schultern sinken, drehte sich um und schlenderte langsam auf den freien Platz zwischen den Häusern zurück.
Dort lagerte unter einer knorrigen, alten Eiche ein Rudel braun- und weißgefleckter Hunde, die Jagdmeute der Haslachherren, und mitten zwischen ihnen eine besonders große und kräftige, pechschwarze Hündin, die jetzt aufstand und ihre Glieder lang und genüßlich dehnte und streckte, dabei gähnte sie mit offenem Rachen, zog die roten Lefzen weit zurück und zeigte ihre schneeweißen, gefährlichen Reißzähne. Das war die Hofhündin, die Wächterin des Anwesens, an der kein Fremder unbemerkt vorbei kam und die weit über Haslach und Pitengouua hinaus für ihre Bissigkeit und Schärfe bekannt war. Die junge Frau tätschelte ihr im Vorbeigehen den breiten Schädel, und die Hündin wedelte dankbar mit der langen Rute und trottete dann der Frau wie jeden Morgen auf ihrem Weg zum Kräutergarten hinterher. Die Jagdhunde hoben nur vereinzelt müde den Kopf und blieben ausgestreckt und entspannt liegen, denn die anderen Bewohner der Höfe lagen zu dieser frühen Stunde noch in tiefem Schlaf und verlangten nichts von ihnen, und das morgendliche Herumwandern der jungen Herrin waren die Tiere nun schon gewohnt.
Jeden Morgen wachte die Frau eine gute Zeitlang früher auf als die anderen Leute, im Sommer wie im Winter, und immer stand sie sofort auf und stahl sich leise aus der Stube, um draußen am Bach oder im Garten mit ihren Gedanken für sich zu sein. Diese Zeit gehörte nur ihr, ihr allein, und sie betrachtete diese Einsamkeit und morgendliche Stille als das Kostbarste, was sie besaß. Wie bei einem liebgewonnenen Ritual handelte sie jeden Morgen und bei jedem Wetter in derselben Reihenfolge, zuerst das Waschen und Kämmen am Bach, dann der
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