Mein Name ist Afra (German Edition)
Meier und der Haslachhof mit Richlint eine tüchtige Hausfrau bekam, denn Hedwig war langsam zu alt und gebrechlich für diese schwere Arbeit. Nach den Gefühlen von uns Mädchen fragte in diesem Augenblick niemand, nicht einmal mein Vater, und auch unsere Jugend und Unerfahrenheit war kein Grund für die alten Männer, mit der Entscheidung noch zu warten. Denn Richlint war gerade erst dreizehn und ich vierzehn Jahre alt, und es war eigentlich in unserer Gegend nicht üblich, in diesem Alter schon zu heiraten. Liutbirc wurde Arbeo vermählt, als sie achtzehn Lenze zählte, und Walburc war immerhin schon fünfzehn und nach dem Tod unserer Mutter bereits seit einigen Jahren die Hausfrau des Meierhofes, als Bruno nach Pitengouua kam.
„Ihr werdet in eure Aufgaben schon hinein wachsen,“ tröstete mich am Abend mein Vater, „ihr seid beide kräftige Frauen mit Geschick und Verstand, und eure Männer kenne ich von Kindesbeinen an, es sind starke und gesunde Kerle aus einer sehr angesehenen Familie. Ihr werdet ein glückliches Leben führen, Afra und Richlint, und endlich auf eigenem Haus und Hof mit Mann und Kindern zur Ruhe kommen!“
Wezilo meinte es nur gut mit uns, da bin ich mir sicher, und in all seiner bodenlosen Trauer um seine geliebte Frau Rautgund und seine Tochter Walburc sorgte er sich um unsere Zukunft und die von Pitengouua. Er wollte Richlint, die ihm wie ein eigenes Kind ans Herz gewachsen war, und mich, seine einzige Tochter nach Walburc´s Tod, in der Obhut von anständigen und vermögenden Männern wissen, auf daß es uns an nichts mangeln sollte, und er wollte seinem geliebten Dorf nach der bitteren Erfahrung mit Bruno wieder einen fleißigen Meier verschaffen, zu dem die Leute aufschauen konnten. Es zählte nicht, daß Richlint Chuonrad nicht leiden konnte und überhaupt nicht heiraten wollte, und es zählte auch nicht, daß ich mich seit dem Kindbett meiner Schwester vor dem Kinderkriegen fast zu Tode fürchtete und lieber ohne Mann geblieben wäre. Wir waren nur Frauen, junge Mädchen mit wenig Rechten und vielen Pflichten, und wir hatten den Anweisungen unseres Vaters oder Muntwalts ohne Widerspruch zu gehorchen.
Die Doppelhochzeit fand in den letzten Tagen des Oktobers, gleich nach der Obsternte, in unserem Dorf statt, und es gab kein lautes Freudenfest für alle Verwandten, Nachbarn und Freunde wie bei Bruno und Walburc vor gut einem Jahr, sondern nur eine stille und einfache Zeremonie auf dem Hofplatz. Richlint und ich wurden unter den Augen einiger Zeugen an Chuonrad und Leonhard übergeben, erhielten die Brautgabe und folgten dann unseren Männern nach einem kurzen gemeinsamen Gebet in der kleinen Holzkirche nach Hause, Richlint ins Haslach und ich auf den Meierhof, und ich sehe und spüre noch den langen Blick aus dunklen Augen, den meine Freundin mir zum Abschied zuwarf, als sie sich ohne Worte fortführen ließ. Verzweifelte Trauer war darin und ohnmächtige Hilflosigkeit, wie goldfarbene Splitter blitzten hell dazwischen Wut und Trotz auf, und nur in meinen Ohren war ihre Stimme zu hören, fest und grenzenlos sicher. „Ich werde nicht glücklich sein auf dem Haslachhof, und ich werde Chuonrad niemals Kinder gebären!“
Ω
Am Fuße des breitrückigen Schnaitberges mit seinen dichten Eibenwäldern und dem schier undurchdringlichen Gestrüpp von Beerensträuchern und stacheligen Büschen floß mit kristallklarem Wasser das Haselbächlein in einem schmalen Bett aus Sand und Kieselsteinen. Vom Berg herab schlängelte es sich in unzähligen Krümmungen und Windungen durch Wälder und Wiesen bis zum weiten Sumpfgebiet im Osten, kurz vor der tiefen Ambraschlucht, und verströmte sich dort in den flachen Wassern eines spiegelglatten Sees. Die Quelle des kleinen Baches lag weit oben auf dem Berg, in einem geheimnisvollen Moorgebiet, das sich auf der Hälfte der Hochfläche ausdehnte, umsäumt von kleinwüchsigen Spirken mit ihren weißrindigen Stämmen, spitznadeligen Krüppelkiefern und buschigen Wacholdersträuchen, und von dem die Menschen in den Tälern ringsum viele sagenumwobene Geschichten zu erzählen wußten. Ein leichtsinniger, wagemutiger Bursche sei dort verschwunden, auf der Suche nach den drei Saligen Frauen habe er das dunkle Moor auf dem Schnaitberg durchforscht und sei nie wieder heimgekehrt. Einem übermütigen Mädchen aus der Haslacher Sippe war es genauso ergangen, beim Beerensammeln verstieg sie sich in ihrem Eifer hinauf durch den dichten Wald bis zum finsteren
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