Mein Name ist Toastbrot (German Edition)
drückte mir meine ersten Tränen seit den Kindertagen über die Wangen. War es der noble Grund, dass ich hilflos Eugens Elend ansehen musste? War es der egoistische Grund, dass meine Zeit der Ruhe und Selbstfindung in diesem wunderbaren Haus beendet war und die Zukunft wahrscheinlich schlechter sein würde? Oder war es der psychologische Grund, dass ich darüber traurig war, dass ich mich vermutlich für den zweiten Grund entschieden hätte und mir der Erste richtiger erschien? Ich weiß es nicht, vermutlich eine Mischung aus allen Dreien.
Der Umzug gestaltete sich einfach, denn mein Hab und Gut passte in einen großen Rucksack und vier Einkaufstaschen. Meine gesamte Bibliothek passte in eine der vier Tüten. Schwer fiel mir hingegen der Verlust meiner vier Wände. Dieses Zimmer, das ich ohne Gegenrede meiner Pflegeeltern gestalten konnte, war mein Reich und schenkte mir Würde, Intimität und ein Gefühl von Zuhause sein. Kleine Gesten sind manchmal von größerer Bedeutung als große Worte und zuihnen gehörte, dass meine Gastgeber anklopften, bevor sie eintraten. Darunter verstehe ich nicht das weitverbreitete kurze Anhämmern mit dem gleichzeitigen Öffnen der Tür. Ich meine jenes Anklopfen, das es ermöglicht in einem Mehrpersonenhaushalt privat für sich allein zu sein. Genau damit beginnt der Respekt der Intimität, die man nur all zu gerne Kindern und Jugendlichen abspricht.
So war es mir plötzlich möglich gewesen, ohne die Befürchtung erwischt zu werden zu wichsen. An meinen Wänden hingen keine alten komischen Bilder, sondern Zeitungsausschnitte, die ich sorgfältig plastifizieren ließ. Mein Zimmer war immer aufgeräumt und vorzeigbar, was sich ebenfalls positiv auf meine Autonomie auswirkte. Ordnung war und ist mir immer noch sehr wichtig. Ich ertrage kein Chaos, ich liebe Struktur, ich liebe es, wenn alles seinen Platz hat und sich auch dort befindet.
Das war nun anders geworden, denn alle meine Dinge hatten nun keinen festen Platz mehr. Heimatlos warteten sie gemeinsam mit mir am Straßenrand auf den Kleinbus vom Sozialamt, der uns in meine neue Bleibe bringen sollte. Fortan wohnte ich in einer WG mit 4 Jugendlichen in meinem Alter, die so wie ich, Gewalt und familiärere Konflikte erlebt und deshalb von ihren toten, oder noch lebenden Eltern separiert worden waren. Wie bei solchen Wohngemeinschaften üblich, stand ein Sozialbetreuer viel zu oft bereit, um sich selbst eine Aufgabe zu geben und seiner Freude an Gesprächskreisen zu frönen.
Dieser neue Sozialbetreuer war ein Arsch, und dazu ein nicht allzu kleiner, den ich Herr Monolog taufte. Wüstenrose nervte mich nur, wenn etwas nicht so lief, wie es laufen musste. Das meiste lief im Hintergrund ab und ich konnte mich relativ unabhängig entwickeln. Dieser hingegen füllte jedes Formular akribisch genau aus und fragte mich wöchentlich die gleichen Fragen. Als ich dann doch irgendwann die Fassung verlor und ihm klar sagte, dass er sich gefälligst selbst in der Schule erkundigen solle, sofern ihn meine Noten interessieren, schaltete er auf stur und stufte mein Sozialverhalten nach unten. Dies hatte eine Frequenzerhöhung der Betreuung zur Folge, was mir nicht passte. Die Situation mit den Noten ließmich an mein Elternhaus denken. Genau wie meinen Eltern ging es ihm nur um die Noten, um Zahlen. Hätte er gefragt, was mir in der Schule Spaß macht, was mich ankotzt und was mich träumen lässt, wäre er dem, was ich erwartet hatte, um einiges näher gekommen.
Meine Mitbewohner waren recht einfach gestrickt und schon durch ihre Vorgeschichte ziemlich kaputt. Sie kämpften ihre eigenen Kriege und auf diesen Schlachtfeldern war kein Platz für andere. Die Wohngruppe harmonierte nach Außen prächtig. Zwischen den Bewohnern war Gleichgültigkeit das prägende Gefühl.
Der eine wollte unbedingt einen Hund und durfte keinen haben. Zudem hämmerte er unentwegt mit irgendetwas gegen irgendetwas, was ihm ein Einzelzimmer einbrachte. Der Nächste litt hin und wieder an Entzugserscheinungen, was offensichtlich dafür sprach, dass er entgegen der Überzeugung unserer Hausmutti alles andere als clean war. Der Dritte, ein Flüchtling aus Russland, hatte sich selbst auf dem Weg nach Deutschland verloren und pflegte seine leere Hülle durch Baden oder Kacken oder Cremen, oder was man sonst stundenlang im Badezimmer machen kann. Nummer vier war ein Psycho wie ich. Er hörte, wie Herr Monolog ausführte Stimmen, die alle anderen nicht hörten. Er selbst
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