Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Frau angesprochen, weil sie mir gefiel. Sie saß in einem Café und las ein Buch. Ich fragte sie: «Was lesen Sie denn da?», und sie antwortete: «Houellebecq», was ich natürlich sofort extrem aufregend fand wegen der Erotik und so. Also lud ich sie zu einem Kaffee ein. Während wir diesen einnahmen, erzählte sie mir von der Lektüre des Buches und den daraus resultierenden theoretischen, empirischen und methodologischen Fragen des Grundlagenwandels moderner Gesellschaften. Ich fragte mich, in welchem von Houllebecqs Romanen noch einmal davon die Rede war. Ich fand die Frau schließlich doch nicht mehr so aufregend, als sich herausstellte, dass ich mich verhört hatte und sie keineswegs Houellebecq las, sondern Ulrich Beck. Soziologie, achtes Semester. Ich nahm mir vor, gelegentlich einen Hörtest zu absolvieren. Das soll man in regelmäßigen Abständen machen. Das gilt nicht unbedingt für elf Jahre alte Mädchen; bei Ihnen reicht es, wenn sie sich von Zeit zu Zeit die Ohren waschen und aufmerksam zuhören, wenn der Vater spricht.
Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, wunderte sich Carla darüber, dass ich mir Sorgen um mein Doppelkinn machte. Ich sei doch ein steinalter Mann, und derartige Kümmernisse stünden nur jungen Menschen zu. In Carlas Vorstellung machen sich Zwanzigjährige um nichts anderes Sorgen als um ihre Figur, denn die meisten Zwanzigjährigen, die unsere Tochter zur Kenntnis nimmt, machen bei «Germany’s Next Topmodel» mit.
Wir wollen nicht, dass sie diesen Mist ansieht. Wir haben es sogar verboten, denn die Werte, die dort vermittelt werden, finden wir falsch, die dort propagierte Elitenbildung schändlich und die Machart der Sendung: beschissen. Das ist, wenn es überhaupt was ist, gar nichts für Kinder. Die werden davon bloß versaut. Trotzdem lieben schon kleine Mädchen die gouvernantenhafte Heidi Klum und hängen an ihren Lippen, was ich tragisch finde, weil das mit diesen Lippen verbundene Gehirn bedauerlicherweise das einzige Körperteil der Moderatorin ist, welches von der Natur nicht im Übermaß gesegnet wurde. Außerdem muss ihr mal jemand sagen, dass der Komparativ immer noch mit «als» gebildet wird und nicht mit «wie». Egal. Jedenfalls soll Carla das nicht gucken. Schließlich durfte ich in ihrem Alter auch nicht «Ein Zombie hing am Glockenseil» ansehen, und das ist ungefähr dasselbe wie «Germany’s Next Topmodel».
Nach der heutigen Zeitungslektüre keimt in dieser Sache Hoffnung, denn es könnte sein, dass die ganze Modelbranche dem Untergang durch Fortschritt geweiht ist: Soeben wurde in Japan ein humanoid aussehender Roboter mit Namen HRP-4C vorgestellt. Das dreiundvierzig Kilogramm schwere Gerät besitzt eine weibliche Topfigur, ein sehr zartes Gesicht mit porentief reiner Haut aus Silikon sowie schwarzes Haar. Es kann gehen wie ein Fotomodell und ist in der Lage, Kleidung vorzuführen, ohne sich anschließend zu übergeben. Es fehlt dieser Menschmaschine eigentlich nur ein Sprachmodul, mit dem sie den Unsinn verzapfen kann, den Frau Klums Kandidatinnen in demütiger Schlichtheit von sich geben. Es ist aber sicher technisch möglich, so etwas einzubauen. Man drückt drauf, und das Ding sagt reflexhaft: «Schlebe meinen Traum.» Auch wieder eine grauenhafte Vorstellung, da ich annehmen muss, dass Carla dann unbedingt so sein will wie HRP-4C.
Methusalem kocht sich ein Ei
Gestern ist mir ein Ei explodiert, heute krümelt mein Mixer. Zwar besteht zwischen diesen Ereignissen kein direkter Zusammenhang, aber beide gaben mir schwer zu denken. Mit dem Ei verhielt es sich so, dass ich es kochte und vergaß. Ich habe die schrullig anmutende Angewohnheit, mir jeden Morgen ein Hühnerei zu kochen, um es mit einer auf Toast zerdrückten halben Avocado zu verputzen. Alle finden das eklig. Außer mir. Und gestern habe ich das Ei vergessen. Zum ersten Mal in meinem Leben. Das Wasser verdunstete, und als ich den glühenden Topf vom Herd nahm und den Deckel entfernte, hüpfte das Ei heraus und zerplatzte laut knallend. Wenn ich seine Telefonnummer hätte, würde ich Ranga Yogeshwar anrufen und ihn fragen, warum. Sicher wird er unentwegt von Bekannten angerufen und muss erklären, warum Eier platzen. Oder woraus eine Fliege besteht. Dies fragte mich mein Sohn neulich: «Papa, aus was ist eine Fliege?»
«Aus Fliegenmaterial», sagte ich und fühlte mich dumm. Ranga Yogeshwar hätte sicher eine entschieden plausiblere Antwort parat gehabt.
Jedenfalls habe ich das Ei
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