Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
probieren. Wir waren verliebt, aufgeregt und voller Pioniergeist. Und wir kauften unser erstes gemeinsames Möbel: einen Sessel. Ich liebte den Sessel. Ich liebe ihn noch immer. Er ist ein Eineinhalbsitzer für normale Personen. Oder für sehr schmale Menschen ein Zweisitzer oder für sehr Dicke ein Einsitzer. Wir saßen aber dann nie zu eineinhalb drauf. Meistens benutzte ich ihn alleine und las darin oder sah fern. Es handelte sich um ein recht schlichtes, fast schon bauhäuslerisch kantiges Möbel, bezogen mit einem ebenso festen wie rauen sandfarbenen Baumwollstoff. Sitzkissen, Rückenkissen, alles waschbar, herrlich. Donnerwetter! Was für ein Sessel!
Dann kamen die Kinder, und mein Sessel begann Sara zu stören. Er war das falsche Ding am falschen Platz. Sie fing an, gegen den Sessel zu intrigieren, und schließlich wich er kompromisshalber ins Schlafzimmer. Dort diente er als Ablageplatz für getragene Wäsche, die ihn nach und nach wie eine Art Moosflechte überwucherte. Niemand saß mehr drauf. Nachdem ich einmal für zwei Wochen unterwegs war, musste ich bei meiner Rückkehr feststellen, dass der Sessel nicht einfach nur unter den Kleidern, sondern tatsächlich verschwunden war. Weg. Ich fragte Sara, und sie teilte mir mit, dass sie den Sessel unserem Au-pair-Mädchen überlassen habe, weil seit Jahren kein Mensch mehr darauf gesessen habe.
«Ich hätte gerne drauf gesessen, aber du hast deine Klamotten draufgelegt», sagte ich schwach.
«Die habe ich nur draufgelegt, weil du nicht dringesessen hast», entgegnete sie. Und dass kein Mensch in seinem Schlafzimmer im Sessel säße.
«Doch, ich.» Ich hatte nur nie die Gelegenheit dazu bekommen.
Natalya, unser Au-pair-Mädchen, nutzte den Sessel tatsächlich. Sie stapelte ihre Bücher darauf und benutzte ihn als Ablage für Studienmaterial. Manchmal, wenn sie Besuch bekam, räumte sie die Sitzfläche frei, denn dann brauchte sie den Sessel, um dort ein Tablett abzustellen. Studentinnen trinken gerne Tee, den sie auf einem Tablett in ihr Zimmer tragen und auf Sesseln abstellen. Dann setzen sie sich im Schneidersitz auf den Fußboden und unterhalten sich auf Russisch über ihre Gasteltern. Falls ihre Gesichter dabei Farbe und Ausdruck von tschetschenischen Milizen annehmen, sollte man Gebäck zum Tee reichen, sonst wird’s unter Umständen heikel und die ganze Wäsche ist am nächsten Tag rosa. Aber das nur nebenbei.
Nach gut eineinhalb Jahren ist Natalya vor kurzem ausgezogen. Sie hat ihren alten Computer und ihre Fotoalben mitgenommen und viele Erfahrungen sowie einige Jeans und T-Shirts von Sara. Und sie hat das Schicksal meines Sessels besiegelt. Dieser wurde von Sara und einer willfährig agierenden subalternen Kraft, vermutlich unserer Tochter, in den Keller geschleppt, weil Natalyas Zimmer nun für Gäste umgestaltet wurde. Und denen könne man «das Monster», wie Sara meinen Sessel schalt, nicht zumuten.
«Das war unser erstes Möbel», jammerte ich.
«Ja, und wir hätten damit warten sollen, bis wir etwas Schönes finden.»
«Ich liebe ihn. Er ist ein sandfarbenes Symbol für unsere Beziehung.»
«Er ist nicht sandfarben, sondern senffarben. Und ein Symbol für deine Sentimentalität.»
Nun steht er also im Keller, mein Sessel. Manchmal, wenn ich eine Flasche Wein hole, mache ich einen kleinen Bogen und setze mich drauf, streichle die Armlehnen und seufze leise. So ist die Ehe, meine jedenfalls. Aber es gibt Hoffnung.
Neulich war ein alter Freund da. Frank. Er ist Redakteur bei einer Zeitschrift für Architektur und Einrichtung. Ein Styler, ein First Mover, ganz vorne. Er nippte an seinem Spritz und fragte dann: «Wo ist eigentlich dieser geile Sessel?», Dieser Ralph-Lauren-Hampton-Martha’s-Vineyard-Sessel?» Sara überhörte die Frage und wechselte das Thema. Aber zwei Tage später hat sie die Bezüge gewaschen. Mein Sessel steht vor einem Comeback. Ich habe mich noch gar nicht bei Frank für den kleinen Gefallen bedankt. Er hat das super gemacht.
Der Lang Lang der Automontage
Seit vorgestern bin ich offiziell alt. Da hat mich mein Sohn gefragt, ob er mein neues Auto haben könne, wenn ich tot sei. Er ist sieben Jahre alt, ich bin zweiundvierzig, und er fiebert meinem Ende entgegen. Ich hätte mir gewünscht, dass es noch eine Weile dauert, bis solche Themen an mich herangetragen werden, aber nun ist es eben so weit und ich muss damit leben, also habe ich geantwortet: «Der Wagen gehört dir, mein Sohn.»
Wir haben das Auto zusammen
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