Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
ein ganzes Auto ziehen können», sagte sie, und damit hatte sie recht. Ich schlug vor, dass Tier Hans Eichel zu taufen, weil es so ähnlich guckte, aber das erboste Sara, die sich wünschte, dass ich ihrem neuen Freund mit ein wenig mehr Ernst begegnen möge. Wir einigten uns erst einmal auf den Namen Perle, was in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um einen Herrn handelt, zwar etwas schwul klingt, aber das weiß Perle ja nicht.
Perle ist eigentlich ein ganz ruhiges Pferd. Er hätte auch weiterhin in Frieden leben können, wenn Sara nicht angefangen hätte, Reitstunden bei einer ehemaligen ukrainischen Olympionikin zu nehmen, die bald einen geradezu ostblockmäßigen Ehrgeiz in meiner Frau entfesselte. Sie machte eine erste Reiterprüfung, um an Turnieren teilnehmen zu dürfen, und seitdem ist bei uns den ganzen Tag von Perle die Rede. Wie Perle heute brav gegangen sei. Dass Perle, obwohl sechsjährig, noch nie Koliken gehabt habe und wie schön sein Fell aussähe. Und der neue Sattel käme nächste Woche, und das Heu sei ganz frisch und die Gamaschen orange. Ich habe auch keine Koliken, mein Fell ist ebenfalls tadellos, und ich brauche keine Gamaschen, um glücklich zu sein, geschweige denn orange Gamaschen. Aber für mich interessiert sich zu Hause kein Schwein mehr.
Sie finden, das klingt nach Eifersucht? Das ist Eifersucht. Ich werde weder gestriegelt noch gefüttert, nicht trocken geritten und auch nicht in die Führmaschine gestellt. Ich bekomme keinen Zucker und keine Extravitamine, ich werde einfach mir selbst überlassen. Beinahe hätte das zu ernsthaften Auseinandersetzungen geführt, aber dann kam Sara mit einem gelben Aktenordner und einem ernsten Gesichtsausdruck auf mich zu.
«Kannst du mich abhören? Für mein erstes Turnier.»
Ich sah auf die Übung, und plötzlich hatte der ganze Reitsport für mich einen Sinn. Auf einmal liebte ich Dressur, einen Sport, den ich bis zu diesem Moment für den Ausdruck einer erstklassigen Upper-Class-Schrulle gehalten hatte. Warum? Weil die Sprache mich bezauberte. Eine Piaffe zum Beispiel ist ein bestimmter Schritt, bei dem Pferde in etwa so aussehen wie Otto Waalkes, wenn er auf die Bühne kommt. Sehr ulkig, die Pferde, die so etwas können. Ist aber offenbar schwierig.
Bei ihrem ersten Turnier mussten Sara und Perle allerhand komplizierte Schrittfolgen absolvieren, zum Beispiel gemeinsam im versammelten Trab einreiten, halten und grüßen. Dann halbe Volte rechts und halbe Volte links, Mitteltrab, versammelter Trab und auf die Mittellinie abwenden. Nach rechts traversieren, auf der Wechsellinie abwenden, Kurzkehrt rechts, Mittelschritt. Wenig später Obacht, es folgt eine ergiebige Fehlerquelle beim Halten, eine Pferdelänge rückwärts richten und daraus im versammelten Tempo rechts angaloppieren.
Sara und Perle meisterten die ganze Aufgabe inklusive des fliegenden Galoppwechsels nahezu fehlerfrei.
Ich war ganz gegen meine erklärte Absicht begeistert. Mit der noch laufenden Videokamera in der Hand wechselte ich durch die ganze Bahn, traversierte im versammelten Galopp zum Getränkezelt, hielt an, grüßte und bestellte zwei Gläser Sekt. Damit piaffierte ich in Richtung Mittellinie, wo Perle gerade eine rote Schleife an den Kopf gesteckt bekam. Sara saß immer noch vor Freude und Anstrengung dampfend auf dem Rücken des Pferdes. Sie sah sehr glücklich aus. Wunderbares Mysterium Reitsport!
Manieren und Manierismen
Immer häufiger wird bei uns über diese profanen und ermüdenden Erziehungsthemen geredet. Wir sprechen zum Beispiel auffallend oft darüber, wie man sich bei Tisch hinsetzt, was man bei Beerdigungen oder Taufen anzieht (keine Fußballtrikots) und dass man die Kopfhörer beim Essen abnimmt. Das findet unsere Tochter spießig.
Ich bin darüber ein wenig verstimmt, immerhin zwingt sie mich dazu, Rollen zu spielen, die mir überhaupt nicht liegen, nämlich die der blöden autoritären Wurst und des Spielverderbers. Als wir vorgestern mal wieder eine Unterhaltung darüber führten, dass wir nicht wie die Hunnen unser Essen in uns hineinstopfen, sondern langsam und kultiviert sowie mit Messer und Gabel, überraschte mich Carla mit der Durchsage, sie würde gerne einmal bei der englischen Königin speisen.
«Da dürftest du dich aber nicht so aufführen wie hier», merkte ich an.
«Eben doch, das ist es ja», behauptete Carla und setzte mir auseinander, dass es am englischen Hof Sitte sei, dass die Königin die schlechten Tischmanieren ihrer
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