Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Gäste nicht nur toleriere, sondern sie ihrerseits sogar annehme, um die ausländischen Bankettteilnehmer nicht zu brüskieren. Wenn also ein exotischer Potentat sich den Mund mit dem Tischtuch abwische oder hineinniese, so würde dies von Königin Elisabeth II. nachgeahmt, damit sich der Gast wohl fühle.
Diese Vorstellung fand ich bezaubernd. Sie eröffnet wunderbare Gedankenspiele darüber, wozu sich die englische Königin bei Tisch wohl hinreißen lässt, wenn man es ihr nur vormacht. Auch Nick war begeistert. «Ich würde sofort riesig einen fahrenlassen», rief er, erfreut von der Idee, dass Elisabeth II., von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Länder und Gebiete, Oberhaupt des Commonwealth sowie Verteidigerin des Glaubens, ihm zuliebe Darmwinde entließe.
Ich beendete die Diskussion, indem ich behauptete, dass es so eine Benimmregel am britischen Hof ganz bestimmt nicht gäbe, schon weil Tischsitten international seien, und wenn die Geschichte doch stimme, würden wir die Queen ganz bestimmt nie zu uns nach Hause einladen. Wer weiß, was die dann alles am Tisch veranstaltet, um auch mal lustig zu sein, und überhaupt sollen sich die Kinder mit ihrem Benehmen nicht am englischen Hochadel orientieren, sondern gefälligst an mir.
Der Michael Jackson habe sich als reicher Popstar zu Hause bei Tisch bestimmt aufführen dürfen wie ein Erdferkel, behauptete Nick. Das mag sein, zumal an Jacksons Seite jahrelang ein Affe dinierte. Das habe ich übrigens mit Michael Jackson gemein, denn mein Sohn verhält sich während der Mahlzeiten bestimmt nicht anders als einst Jacksons Schimpanse Bubbles, wenn nicht sogar unzivilisierter.
Wir haben zum Zwecke der Normierung unseres Nachwuchses, und weil man das eben so macht und weil ich in Ruhe essen möchte, bereits vor einiger Zeit Tischregeln aufgestellt. Man darf zum Beispiel bei uns die Füße nicht auf dem Tisch ablegen, und zwar weder vor noch während noch nach dem Essen, also eigentlich nie. Sara behauptete den Kindern gegenüber, das sei eine ganz schlimme Unart und sie und ich würden so etwas schließlich auch nicht machen. Das stimmt nicht ganz. Ich liebe es nämlich, die Füße auf den Esstisch zu legen. Manchmal kippele ich dabei auch noch mit dem Stuhl und lese so die Zeitung. Das mache ich allerdings nur, wenn ich alleine bin. Sara weiß bisher nichts davon, und unsere Kinder dürfen diesen Text niemals zu Gesicht bekommen, damit sie nicht Glauben und Vertrauen in unsere Erziehungsmaßstäbe verlieren.
Diese richten sich streng nach den konventionellen Regeln der Höflichkeit und werden regelmäßig mit neuen Do’s und Don’ts angereichert, über die ich in Saras Frauenzeitschriften lese, welche ich auf dem Klo studiere. Ich verfolge die Entwicklung der Etikette mit größter Aufmerksamkeit. Erst neulich las ich zum Beispiel die neuen Benimmempfehlungen für Gäste und Gastgeber. Da antwortete eine adlige Autorin auf die Frage, ob man als Gast Blumen mitbringen solle, dass man diese ein bis zwei Tage vorher zu schicken habe, denn «wer will schon den halben Abend nach passenden Vasen suchen?». Diesen Satz fand ich ganz unglaublich glamourös. Ich stellte mir sofort vor, wie die Käuferinnen dieser Zeitschrift halbe Abende lang in ihrer Zweizimmerwohnung nach einer Vase suchen. Und zwar nicht nach überhaupt einer Vase, sondern nach einer passenden Vase.
Wir besitzen im Ganzen sechs Vasen unterschiedlicher Größe und dazu noch acht ausgetrunkene Sanbitterfläschchen, in die man Gänseblümchen stecken kann, was einen völlig unprätentiösen und lässig-stylischen Tischlook abgibt, wie ein Frauenzeitschriftendekoredakteur jetzt schreiben würde. Noch nie habe ich nach einer passenden Vase suchen müssen, weil die bei uns alle an derselben Stelle stehen, und irgendeine passt auf jeden Fall. Meine Frau freut sich immer sehr, wenn man ihr Blumen mitbringt, und rubbeldikatz werden sie auf den Tisch gestellt. Und das soll jetzt nicht mehr richtig sein? Gut. Bitte schön.
Ich bringe sowieso lieber Wein mit. Ist aber – aktueller Stand – ebenfalls verkehrt. Wer nämlich dem Hausherrn eine Flasche Château Brane-Cantenac Jahrgang 2004 in die Hand drückt, beleidigt ihn im Subtext: «Hier bitte schön. Am besten, wir machen die Pulle gleich auf, dann gibt’s wenigstens was Ordentliches zu saufen.» Meistens stimmt das zwar, aber es diskreditiert den Gastgeber natürlich auf das
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