Mein Onkel Ferdinand
ungerechten und unberechtigten Zornes, aber er spülte in diesem Augenblick jede vernünftige Überlegung weg. Ich knurrte den Chauffeur an, mich den gleichen Weg zurückzukutschieren, aber er zögerte, er schien es unbegreiflich zu finden, daß man solch eine nette junge Dame nicht einmal bis zur Haustür begleitete.
»Los, Mann, nun fahren Sie schon!« rief ich ungeduldig, und er setzte sich kopfschüttelnd wieder hinter das Steuer.
Ich ließ mich auf der Hälfte des Weges absetzen. Als ich zahlen wollte, erfuhr ich, daß die Abrechnung bereits im Hotel erfolgt sei. Aha! dachte ich, es sind die ersten fünf Mark von der Erbschaft! Nein, das kommt für mich nicht in Frage! Ich zahle meine Fahrten selber! Der Chauffeur hielt mich sicherlich für verrückt, er zuckte mit den Schultern und war durchaus nicht böse, als er den Fahrpreis zum zweitenmal kassieren konnte.
Am liebsten wäre ich umgekehrt, als ich in den beiden Fenstern des Arbeitszimmers meines Vaters noch Licht sah. Sie warteten auf mich. Und wie ich Mutter kannte, hatte sie mir gewiß noch etwas zum Essen aufgehoben und würde mich so lange nötigen, bis ich nachgab und den Italienischen Salat, oder was es immer sein mochte, in mich hineinwürgte.
Nimm alle Kraft zusammen, Hermann!
Ja, meine Eltern warteten tatsächlich auf mich. Ich versuchte, es so kurz wie möglich zu machen. Daß meine Mutter durch meine Nachrichten einigermaßen aus dem Gleichgewicht geriet, war nicht weiter verwunderlich. Dazu genügten schon geringere Anlässe als eine große Erbschaft. Dabei erregte sie sich wenigstens noch am meisten über Murchisons Verworfenheit und zitterte bei dem Gedanken, was geschehen wäre, wenn es ihm gelungen wäre, seine schändlichen Pläne in die Tat umzusetzen.
Die Erbschaft rührte sie natürlich auch zu Tränen, aber diese Tränen galten mehr der Überlegung, daß dieser einstige Tunichtgut Johannes Drost im weiteren Verlaufe seines Erdenwallens doch ein ganzer Kerl geworden sein müsse, denn schließlich würde Gottes Segen auf die Dauer ja nur den Tüchtigen zuteil... Ein anderer Mann jedenfalls als mein Onkel Ferdinand, dem es nicht einmal in Amerika — dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten! — gelungen war, etwas anderes als Pleiten und Niederlagen zu erleben.
Das also waren Mutters Gedanken. Daß aber mein kühler und überlegener Vater plötzlich irgendeinen verknitterten Notizzettel aus der Tasche seiner brauen Hausjacke zog, einen Bleistiftstummel mit der Zunge befeuchtete und den Wert der Erbschaft nach dem Tageskurs des englischen Pfundes zu berechnen begann, das erschütterte mich aufs tiefste.
»Australische oder englische Pfunde?« fragte er.
»Ich nehme an: australische!« knurrte ich.
»Was heißt: du nimmst an? Habt ihr darüber etwa mit Graham nicht gesprochen? Das ist nämlich ein gewaltiger Unterschied! Das australische Pfund Sterling hat den Kurs von 0,1063 für die Mark, und das englische nur 0,085!«
»Da es sich um eine australische Erbschaft handelt, wird es sich auch um australische Pfunde handeln...«
Also noch mehr, als ich angenommen hatte!
Mein Vater malte mit fliegender Hand Ziffern auf den Zettel, es schien keine ganz einfache Rechnung zu sein...
»Also...«, murmelte er leicht betäubt, »wenn es sich um australische Pfunde handelt, dann sind es rund eine Million und etwa einhundertzehntausend Mark!« Er starrte mich dabei an, als suche er bereits in meinem Gesicht Spuren einer Veränderung. »Mehr als eine Million! Kinder, ich glaube, ihr ahnt beide noch nicht — weder du noch Gertrud —, was das eigentlich bedeutet...«
Mich überfiel von neuem der dumpfe Zorn, in dem ich mich von Gertrud getrennt hatte. War es überhaupt ein Zorn? War es nicht vielmehr eine zornige Trauer und Verbitterung über eine Schicksalswendung, die über mich hereingebrochen war und mich wie ein heimtückischer Schlag aus dem Hinterhalt getroffen hatte?
»Ich glaube eher, daß du nicht begreifst, was das für mich bedeutet!« entgegnete ich heftig. »Begreifst du es wirklich nicht? Begreift ihr beide nicht, daß diese verdammte Erbschaft alles über den Haufen wirft, was geschehen ist? Vor allem aber meine Verlobung mit Gertrud! Gut, wenn es ein paar Tausender gewesen wären, das Geld für eine anständige Aussteuer oder für das Grundstück zu einem kleinen Haus, es wäre nicht wert, darüber ein Wort zu verlieren. Aber eine Millionenerbschaft! Das schafft doch ganz neue Voraussetzungen! Oder glaubt ihr etwa, ich
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