Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
seinem Zimmer einfinden, lässt ihm die Stationsärztin ausrichten, der Oberarzt komme auch dazu.
Als alle da sind, wird der Zimmergenosse auf den Gang geschickt.
Die Untersuchungen haben nichts Neues ergeben. Ihm ist medizinisch im Moment nicht zu helfen. Weitere Verschlechterungen sehr wahrscheinlich, aber in ihrem zeitlichen Verlauf nicht voraussehbar.
Trotz aller ironischen Distanz hat er Mediziner bislang als Verbündete betrachtet. Nun können sie ihm auf einmal nicht mehr helfen. Erklären ihn für unheilbar. Für vogelfrei.
Niemand kann mir helfen. Zumindest hört er nichts anderes aus ihren Reden, als dass sie ihn aufgegeben haben.
Das Schiff, das in Johannas Teich leck geschlagen war, ist seitdem, ganz leise, voll Wasser gelaufen. Nun sinkt es, vollkommen geräuschlos. Hinterlässt nur ein paar Strudel. Max treibt, an eine blau-rote Luftmatratze geklammert, im Ozean. Er sieht die Ärzte an wie Fische unter sich, erst den Oberarzt, dann die Stationsärztin.
» Dann kann ich jetzt nach Hause, oder?«
Sie zählen noch ein paar Medikamente auf, die sollte man vielleicht einmal ausprobieren. Ein Chemo-Mittel helfe vielen, doch die Nebenwirkungen seien nicht unproblematisch, man müsse das gut abwägen. Oder eine Blutwäsche. Die Stationsärztin zieht ein paar zusammengetackerte Blätter aus dem Wägelchen mit den Krankenakten und drückt sie ihm in die Hand. Auch gäbe es neue, noch nicht zugelassene Tabletten zur Linderung seiner Symptome, die könnte sie ihm verschaffen, wenn er … Max hört ihnen nicht mehr zu. Die Stationsärztin will ihn mit weiteren Untersuchungen und Anwendungen zum Bleiben überreden, bis er sie unterbricht: » Würde das irgendetwas ändern?«
Sie schüttelt den Kopf.
Schließlich einigen sie sich darauf, dass er am nächsten Tag entlassen wird. Aber wohin?
Puh! Was ist ein Krankenhaus doch für ein trostloser Ort. Wie gut, dass du dich aus eigener Kraft befreit hast. Ohne deine Unterstützung hätte ich dich da nicht rausgekriegt. Aber wie soll es jetzt weitergehen?
Immer wenn ich meine, verstanden zu haben, was in dir vorgeht, schlägst du einen Haken und läufst in die entgegengesetzte Richtung davon. Wie lange bist du jetzt schon auf der Flucht? Binnen einer Viertelstunde verfluchst du dein Leben und beglückwünschst dich dazu. Was hat nun mehr Gültigkeit? Woran soll ich mich halten? Mal bist du verzweifelt und grinst dabei. Dann bist du einsam, und zehn Minuten später läutet die nächste Verabredung.
Die um ihren Kater trauernde Frau in der Straßenbahn war viel geradliniger in ihrem Leid. Auch an sie kommt niemand heran, aber man weiß wenigstens, woran man ist. Selbst dein Freund Tom ist berechenbarer. Der lässt alle Anstrengungen von anderen, ihm sein Leben schönzureden, einfach an sich abperlen. Mehr noch, er fühlt sich in seinem Weltschmerz nur bestätigt.
Ihr alle, auch die sitzen gelassene Anke in Stuttgart, habt panische Angst, euch helfen zu lassen. Selbst sie, die für ihre Tochter alles tun würde, traut sich nicht, ihre Nachbarin zu bitten, einen Abend auf Felicitas aufzupassen. Lieber schlägt sie eine Einladung aus und bleibt deswegen zu Hause. Lieber hockt sie stundenlang an ihrem Küchentisch und träumt von einem neuen Mann, den sie dort mit etwas mehr Mut zur selben Zeit kennenlernen könnte …
Eines habe ich mittlerweile gelernt: Wenn man euch einen Schubs in eine andere Richtung gibt, dürft ihr es auf keinen Fall merken. Sonst ist es sofort aus. Man muss überaus vorsichtig vorgehen. Beinahe könnte man sagen: durchtrieben.
Und man hört am besten weg, wenn ihr euch darüber beklagt, obwohl ihr euch nicht helfen lassen wollt, dass ihr euch allein und verloren in eurem Leid fühlt. Natürlich nur im stillen Kämmerlein.
Das alles sollte einem beigebracht werden, bevor man den ersten Auftrag übernimmt!
An seinem letzten Abend in der Klinik weiß Max nicht, wohin mit sich. Nirgendwo gibt es einen Rückzugsraum: Im Speisesaal decken die Schwesternhelferinnen schon das Frühstücksgeschirr und Medikamente. In seinem Zimmer starrt der Bettnachbar beharrlich an die Wand. Da fällt ihm die Kapelle im Erdgeschoss ein. Jedes Mal, wenn er sie auf dem Rückweg von den Strombottichen passierte, war der Raum leer. Er bremst mit einer eleganten Drehung des Rollstuhls vor dem Lift und wartet. Nach längerem Geruckel in dessen Eingeweiden gehen die Türen auf. Drinnen steht eine blondierte Frau in Jogginghose und weißem T-Shirt. Die üppigen Brüste
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