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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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geringsten Belastung nach. Und den Rollstuhl hat er auch nicht neben das Bett gestellt. Wie konnte er nur so unvorsichtig sein!
    Um es nicht auf einen Sturz ankommen zu lassen, lässt er sich am Morgen auf das Parkett sinken und kriecht die drei Meter bis zum Rollstuhl. Irgendwie gelingt es ihm, sich an der Türklinke hochzuziehen. Seine Oberschenkel halten das Gewicht aus. Mit einem glücklichen Lächeln lässt er sich fallen. Was für ein Wunder!
    Diese Sorte » Wunder« kannst du getrost deinem eigenen Körper zuschreiben, da hat niemand sonst seine Finger im Spiel. – Wenn du dem doch wenigstens ansatzweise so dankbar wärst wie deiner Schwester, die wenig später Leinöl und Quark vorbeibringt! Aber nein: Dein Körper hat zu funktionieren und nichts weiter. Und tut er es nicht nach deinen Erwartungen, schaust du gar nicht erst genauer hin, sondern suchst sofort außerhalb von dir nach einer Ersatzlösung: nimmst ein Taxi, meidest Cafés mit Toiletten im Keller, verzichtest wegen der Knöpfe auf Hemden … Auf eine Auseinandersetzung mit deinem Körper lässt du dich erst gar nicht ein. Das setze ich jetzt auf das Trainigsprogramm.

10.
    Menschen hinterfr a gen ihr Glück so la n ge, bis es w e g ist.
    »Warum sagst du eigentlich nie, wie es dir wirklich geht?« Tom reckt den Hals vor wie der Staatsanwalt im Tatort.
    » Weil –«, Max zögert, » weil ich mich an vielen Tagen außerhalb des Bereichs für eine angemessene Antwort auf diese Frage fühle.«
    Eigentlich aber hält er die meisten Frager – vor allem Tom – für zu zartbesaitet, um ihnen die volle Wahrheit zuzumuten.
    » Du leidest immer so still. Nimm dir mal ein Beispiel an Hiob, den Leidenden vom Dienst aus der Bibel. Der jammert, was das Zeug hält, und wird am Ende sogar noch mit Kamelen und Haremsdamen dafür belohnt.«
    » Kamele waren noch nie mein Fall.«
    » Ist ja auch egal. Aber spiel nicht immer den Helden, wenn du keiner bist. Du bist schon genug Held, selbst wenn du keinen spielst. Also, du weißt schon, was ich meine.« Tom schaut seinen Freund hilfesuchend an.
    Empörung steigt in Max hoch: Bekommt er jetzt selbst für seine Diskretion einen Rüffler? Er nickt sie hinunter und sagt vieldeutig: » Jammern will eben gelernt sein.«
    Nachdem Tom gegangen ist, schlägt er die Schulbibel seiner Schwester auf, die seit dem Krankenhausaufenthalt unberührt auf seinem Schreibtisch liegt, und liest das Buch Hiob in einem Zug durch.
    Der Prolog ist grausam. Was Hiob nämlich nicht weiß, nur der Leser: Er ist bloß ein Versuchskaninchen. Der Herr und der Satan wetten miteinander, ob man Hiob so quälen könne, bis er vom Glauben abfalle. (Mein Gott, treibst du solche Spielchen auch mit mir?) Gott stellt sich zwar hinter seine Kreatur, gibt ihn aber im selben Atemzug zum Abschuss frei. Also nimmt der Teufel Hiob erst einmal den kompletten Besitz weg. Als das nichts hilft, vergreift er sich an Hiobs Körper und überzieht ihn mit einem entstellenden Aussatz. Damit geht er auf Nummer sicher: Zum Schmerz kommt noch die gesellschaftliche Ächtung.
    Die herbeigerufenen Freunde sind so erschreckt über Hiobs Anblick, dass sie erst einmal heftig weinen. Lauter Toms? Dann setzen sie sich zusammen, um zu reden. Doch ein richtiges Gespräch will nicht aufkommen, eher ein Rededuell, während dem beide Parteien um die Trosthoheit kämpfen. Hiob lamentiert und jammert nach allen Regeln der rhetorischen Kunst, ohne sich jedoch explizit von Gott abzuwenden. Was seine Freunde dauernd falsch verstehen und ihm Lästerei vorwerfen. Mittendrin sagt Hiob: » Ähnliches habe ich schon viel gehört; leidige Tröster seid ihr alle. Sind nun zu Ende die windigen Worte?«
    Also will er nur von ihnen getröstet werden? Warum sagt er dies dann nicht einfach? Von alleine kommen seine sogenannten Freunde anscheinend nicht darauf. Im Gegenteil, sie echauffieren sich nur noch mehr. Immer unversöhnlicher geraten sie aneinander.
    Fünf Seiten später versteht Max nicht mehr, worum es bei der Auseinandersetzung eigentlich geht. Und unterstellt den Streitenden, dass sie es auch nicht mehr wissen. Es ist wie so oft: Der Leidende leidet, und die vermeintlichen Tröster reden an ihm vorbei. Zwischen ihnen gibt es kein Verstehen, kein Aufeinanderhören, kein Aufeinandereingehen. Letztlich geht es nur darum, wer sich als Erster der Sicht des anderen beugt.
    Dabei erklärt Hiob nun schon zum wiederholten Male, was er sich von seinen Freunden erwartet. Sein frommer, unerhörter

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