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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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reichen bis fast auf den Rollator.
    » Kannst du ruhig reinkommen«, grinst sie ihn an, » brauchst du keine Angst haben, bin ich glicklich verheiratet in Kroatien mit Mann.«
    Nachdem sie herausbekommen hat, wohin Max unterwegs ist, beschließt sie, dass das auch ihr Ziel sei. Er nickt gequält. Während der Fahrt wiederholt sie, um sicherzugehen: » Brauchst du keine Angst haben. Muss nur haben mein Mann. Übrigens, bin ich Marja aus Zagreb.« Unablässig auf ihn einredend, folgt sie Max.
    Nur ein kleines Fenster erleuchtet den Andachtsraum. Marja schaltet das Neonlicht ein. Vor einem schlichten Altar mit einem Messingkreuz darauf stehen zehn Reihen Jugendherbergsstühle, unterbrochen von einem Gang. In dem hält Max an, um Marja den Weg zu verstellen. Die Bremsen des Rollstuhls stellt er fest. Wie ein nervöser Panther läuft Marja hinter ihm auf und ab, unschlüssig über das weitere Vorgehen. Er aber hält den Kopf demütig gesenkt, bis sie sich verabschiedet.
    » Geh ich Kaffeetrinken mit Schwester Birgit in Stationszimmer. Bin ich Stammgast bei ihr.«
    Max hebt zur Verabschiedung die Hand und lauscht, ob sie auch wirklich geht: Der Lift kommt, der Rollator holpert hinein, die Türen schließen. Dann nichts mehr. Zu hören ist jetzt nur noch das Surren der Neonröhren und ein unbestimmbares Klopfen in der Wand. Er hält den Kopf in die Hände gestützt. Sie sind kalt wie Stein. Reflexartig zieht er den Reißverschluss seines Kapuzenpullis zu.
    Ein paar Minuten vergehen. In der Stille hört er die nackten Zweige einer Kastanie über die Scheiben des kleinen Fensters streichen.
    Zunächst unmerklich verändert sich etwas, ganz gemächlich. Max sieht hinter sich, aber da ist niemand. Dennoch hat er das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Es fühlt sich an, wie wenn nach einer Feier der Raum noch vom Lachen und den Gesprächen der Gäste erfüllt ist.
    Auf einmal ahnt er, dass es etwas mit dem Altar zu tun hat. Genauer noch, mit dem Kreuz darauf. Er löst die Bremsen, rollt bis auf drei Meter heran und betrachtet den jungen Mann. Viel zu schmächtig und ausgemergelt, selbst für dieses kleine Kreuz, das Lendentuch hängt ihm fast bis zu den Knien.
    Plötzlich weiß er es: dieses angenagelte Menschenkind, seine Nacktheit, die Dornenkrone. Der ist mit ihm hier. Sein Schatten, Abbild, Aura – was auch immer – ist irgendwie lebendig in seinem Leid, seiner Einsamkeit, seinem Sterben.
    Zigtausende Kreuze hat Max in seinem Leben schon gesehen, und doch sieht er dieses wie zum ersten Mal. Zum ersten Mal kann er erahnen, was dieser Mann leidet. Nicht nur was, sondern auch wie sich sein Leiden anfühlt.
    Der Gekreuzigte schweigt. Spricht nicht zu Max. Er ist einfach nur da. Das also heißt es: sein Kreuz zu tragen, an dem man vergehen wird. – Dieses Erkennen tröstet Max, ohne dass er sich deswegen unwohl fühlt. Niemand verlangt eine Rechtfertigung von ihm, kein Glaubensbekenntnis.
    Tränen laufen ihm über die Wangen. Ohne zu überlegen, was er tut, beginnt er mit knarziger Stimme zu beten. Zum ersten Mal seit so vielen Jahren. Da er kein anderes Gebet kennt, wird es das Vaterunser.
    Manche Worte wollen ihm nicht über die Lippen, beinahe verschluckt er sich daran. Manche kleben am Rachen wie ein Hustenbonbon. Dabei sind die meisten doch alltagstauglich und harmlos.
    Er kann es selbst kaum fassen: Er betet. Leiernd zwar, aber immerhin.
    Die Tränen fließen jetzt wie Regentropfen an einer Scheibe hinunter und klatschen nicht mehr wie vom Sturm gepeitscht dagegen. Zum Schluss hin – denn dein ist das Reich – wird seine Stimme sicher – und die Kraft – ja, Kraft, das ist es! – und die Herrlichkeit, in Ewigkeit.
    Amen.
    Das ist mehr als ein Schlusspunkt, es umschließt seine Verzweiflung wie seine Hoffnung.
    Und auf eigene Faust fährt Max fort: » Lass mich wenigstens einmal verschnaufen, bevor es weitergeht!« Das überrascht ihn. Er räuspert sich und sagt es noch einmal, lauter diesmal: » Lass mich bitte, bitte verschnaufen, bevor es weitergeht!«
    Marja ist nicht in das Stationszimmer gefahren. Sie steht am Ende eines Ganges vor dem Fenster zum Park. Wenigstens betet der Junge, wenn er schon stumm wie Fisch ist, versucht sie ihren Ärger zu beruhigen. Solche wie ihn hat sie hier schon oft getroffen, schauen wie Ärzte und haben Schiss wie Kinder, immer waren es Männer.
    Von den Rauchern draußen sieht man nur rot aufglühende Punkte. Dennoch meint sie, eine Freundin zu erkennen. Sie treffen sich hier schon

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