Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
seit Jahren. Die ist anders, mit der kann man reden von Gleich zu Gleich. Marja steckt die rechte Hand in die Jackentasche und greift nach dem Rosenkranz.
Auch sie hat in den letzten Tagen viel gebetet. Zu allen echten und zu einigen zweifelhaften Heiligen, vor allem aber zu ihrer Namenspatronin. Zu ihr hat sie ein fast kumpelhaftes Verhältnis entwickelt. Den Rosenkranz braucht sie eigentlich nicht mehr. Auch so steht der Kontakt. Das Beten und Anrufen und sich Bekreuzigen ist so Teil ihres Alltags, dass sie dafür keine Regeln braucht.
Anlässe gibt es ja laufend. Seit einer Woche geht es um die Kur. Die steht auf der Liste ihrer Wünsche an die Gottesmutter ganz oben, noch vor dem nach dem Wohlergehen ihres Mannes und der hochbetagten Mutter. Konkret geht es darum, ob die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden.
Als der Stationsarzt bei der Morgenvisite die frohe Botschaft überbringt: ja, die Kasse zahlt, lauert sie allen Freunden in der Empfangshalle auf, um ihr Glück mit ihnen zu teilen.
Kurz vor dem Mittagessen kommen Max und seine Schwester des Wegs. Sie trägt die vollgepackte Tasche über der Schulter. Marja stellt sich ihnen in den Weg.
» Gehst du schon? Gelobt sei Maria! Gottesmutter hat geholfen. Darf ich in Kur vier Wochen. Musst du auch fleißig beten. Dann kannst du mich besuchen. Können wir uns wieder lange unterhalten dort.«
9.
Manchen Menschen hilft sogar Quark, allerdi n gs nur wenn sie ihn eigenhänd i g verquirlt haben.
Max ist kaum zur Wohnungstür herein, da würde er am liebsten alle Möbel umstellen oder, noch besser, sich vollkommen neu einrichten. Seine Schwester nickt und räumt die unbenutzte Wäsche zurück in den Schrank.
» Hat das nicht Zeit bis morgen?«
» Mir kommt es vor, als wäre ich zehn Jahre im Gefängnis gewesen.«
» Du warst aber nur zehn Tage am Chiemsee.«
Dagegen lässt sich nichts sagen. Dennoch muss nun etwas geschehen, damit er sich wieder als freier Mensch fühlen kann. Aktionismus scheint jetzt die einzige Rettung. Spontan beschließt er, seine Ernährung umzustellen. Aber wie? In irgendeiner Klarsichthülle hat er alle Mails mit diesbezüglichen und anderen wohlgemeinten Vorschlägen für sein Heil gesammelt. Er zieht sie aus dem Stapel mit Hüllen zu anderen nicht beendeten Projekten.
» Da«, ruft er seiner Schwester zu, die inzwischen mit der Waschmaschine beschäftigt ist. » Das mache ich: jeden Tag am Morgen drei Esslöffel Quark mit drei Esslöffel Leinöl und Honig verquirlen. Soll zwar eklig schmecken, aber hochwirksam sein. Kannst du mir Leinöl besorgen? Aber kalt gepresst.«
Und auf Alkohol und Fett würde er künftig verzichten. Bewusster essen, kein Fleisch. Stattdessen nur noch Omega-Drei-Säuren und Vitamin irgendwas, das ganze Programm.
» Und nach drei Monaten hole ich das vergammelte Zeug dann wieder aus deinem Kühlschrank«, sagt seine Schwester.
Er fühlt sich ertappt. Dieses Mal wird es anders sein, dieses Mal ist es wirklich dringend. Wenn ihm die Ärzte nicht helfen können, muss er die Sache selbst in die Hand nehmen. Selbst dann, wenn es aussichtslos ist.
Außerdem würde er wieder mit Yoga beginnen, behauptet er, um sie zu beruhigen. Auch hierzu gibt es eine Klarsichthülle mit Zetteln. Die hat ihm der indische Lehrer gemalt, bei jeder Stunde einen. Für die Strichmännchen stellt keine der Verrenkungen ein Problem dar.
Seine Schwester ist fertig.
» Also, ich kaufe dir morgen dein Öl und den Quark, Honig ist noch da, habe ich gesehen. Aber du musst das nicht machen. Wenn es ganz scheußlich ist, lass es sein.«
Nachdem sie gegangen ist, legt sich Max aufs Bett und versucht es mit den Strichmännchen. So schwer kann das doch nicht sein, obwohl es ihn furchtbar anstrengt, auf allen Vieren nicht umzukippen. Das wird schon, redet er sich ein, ab sofort jeden Tag eine halbe Stunde am Morgen und am Abend. Am besten, er schließt an das Programm gleich noch Muskelaufbau an. In der Klinik hat ihn eine Physiotherapeutin gewarnt, dass seine Beinmuskulatur ohne Training ganz verschwände.
Also zusätzlich Übungen mit dem dehnbaren Plastikband. Erschöpft schaltet er das Licht aus. Einige Minuten genießt er die Stille in seinem Zimmer, bevor er einschläft.
Mitten in der Nacht schreckt er auf und weiß schlagartig, dass er sich übernommen hat. Sein Oberschenkel hat sich schmerzhaft verkrampft. Wie konnte er nur vergessen, dass ein Muskelkater ihn komplett lahmlegen würde! Das Bein gäbe dann bei der
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