Mein Schutzengel ist ein Anfaenger
nicht um die Schlechtheit der Welt oder den Arbeitsberg geht. Es geht auch nicht darum, den Zustand zu verbessern, sondern ihn zu bewahren. Geschickt tarnen sie ihr Trösten mit einer dunklen Farbschicht.
Max ist so begeistert von seiner Beobachtung, dass er den ganzen Vormittag lang nur herumfährt, um Passanten zuzuhören, wie sie sich trösten. Das ihn sonst so störende Gemecker ist nun völlig durchsichtig. Und er erkennt die Sorgen und Sehnsüchte, die sich wie Farne in der Strömung des Lebensflusses biegen.
Die zwei alten Frauen an der Trambahnhaltestelle. Sie monologisieren aneinander vorbei über ihre Krankheiten. Max übersetzt: Ihnen geht es nicht um Heilung. Sie sitzen nicht täglich in hässlich eingerichteten Wartezimmern, um das richtige Medikament zu bekommen, sondern um sich über den Verfall ihres Körpers zu trösten. Deswegen kann der jeweilige Arzt auch immer nur entweder ein Schwätzer oder ein Unkundiger sein, deswegen die zur Schau getragene Unzufriedenheit mit allem, was sie von ihm gesagt bekommen. Deswegen diese Arroganz und gleichzeitig Unterwürfigkeit. Nur deswegen schlagen sie alle vernünftigen Hilfestellungen in den Wind. Es geht nicht um ihre Zipperlein, nicht um den eingeklemmten Nerv, auch nicht ums Gesundwerden. Sie klagen gegen etwas viel Größeres an: gegen den eiskalten, grausamen Tod. Der ihnen ihre Eltern und Männer genommen hat und sich jetzt an sie heranpirscht.
Die Verunsicherung ist so groß, dass man sie wegtrösten muss. Und aus Aberglaube, dass sie noch größer würde, wenn diese Absicht zu deutlich wird, versteckt man sie.
Er nickt den beiden Alten zu und fährt weiter. Nach ein paar Metern hält er es nicht mehr aus. Er muss sich umdrehen, und wirklich, sie lächeln ihm beide nach.
Das also ist die Sprache der Engel.
Das Mädchen dort, es weint doch nicht wegen des zerplatzten Ballons, es tröstet sich über den Verlust hinweg, in der dumpfen Ahnung, dass das ganze Leben eine Aneinanderreihung aus Verlusten sein wird. Sie zu beweinen, wird ihr Leben zusammenhalten.
Auf einmal sind nur die richtigen Menschen um Max. Alle bestätigen seine Gedanken, blinzeln ihm verschwörerisch zu. Die ganze Welt voller Trost. Und, als hätte er es bestellt, legt der italienische Wirt genau im richtigen Moment an der richtigen Stelle eine Hand auf seine Schulter.
Heiliger Trostgesang.
25.
Bei vielen Menschen verhindert Scham selbst den einfachsten Trost.
»Manchmal, wenn meine Kinder spielen, vollkommen versunken, dann werde ich auf einmal ganz ruhig. Da ist alles Kranksein und Sterben so unendlich weit weg. Nicht einmal der Gehstock, den ich wohl bald brauche, kann mich dann mehr erschrecken. Wenn es einen Himmel gibt, dann müsste der so sein, voller Kinder.« Robert lächelt entrückt. »Gestern, nachdem eine Freundin von ihrer Saharareise berichtet hatte, auf der ihr beinahe das Kamel unter dem Hintern weggestohlen worden war, hat mein Sohn aus seinem Zimmer ein kleines Plastikkamel geholt und es ihr geschenkt. Weil sie ja nun keines mehr hätte. Kinder trösten durch Taten, Erwachsene mit Geplapper«, sagt er und greift nach dem Weißbierglas. »Aber das kennst du ja von deinem Neffen inzwischen auch, oder?«
» Und die Väter trösten sich ein paar Jahre später mit ihrer Sekretärin oder dem Alkohol oder beidem«, spinnt Max den Gedanken weiter.
» Frauen und Männer kommen nicht mal beim Trösten zusammen«, sagt Robert.
Wie unterschiedlich die Geschlechter seien, selbst in diesem Punkt, bekäme er als sich um die beiden Kinder kümmernder Vater täglich mit. Von Montag bis Freitag jammerten ihm Frauen auf Spielplätzen die Ohren voll, was die Männer alles nicht für sie täten. Vor allem würden sie nicht kapieren, dass Frauen einfach einmal in den Arm genommen werden wollten, wenn es irgendwelche Probleme gäbe. Von Freitagabend bis Sonntag seien es dann, bei Ausflügen oder einem Bier, die Männer, die sich bei ihm über die dauernden Vorhaltungen ihrer Frauen beschwerten. Dabei würden sie doch immer praktische Vorschläge machen. Aber dann hieße es gleich wieder, sie nähmen ihre Frauen nicht ernst …
» Wenn ich mich dann aber, mit diesem Hintergrundwissen, bei meiner Frau erkundige, ob ich ihr etwas Gutes tun könne, unterstellt sie mir, das nur zu tun, um mit meinen Kumpels Fußball zu schauen. – Mit Kindern ist es tausendmal einfacher. Die brauchen zwar besonders viel Trost, dafür nehmen sie ihn, im Gegensatz zu ihren Müttern, aber auch
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