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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Max schlecht. Er ist nicht einmal bei der Sache, als eine Freundin ihm raunend den ungehemmten Einkauf von Sextoys im Internet beichtet.
    Kaum wieder daheim, wird ihm schwindlig. Er übergibt sich und legt sich ins Bett. Ein wenig belustigt, so eine Magen-Darm-Grippe verspricht immerhin etwas Abwechslung zu den sonstigen Gebrechen. Außerdem kann er jetzt einen kitschigen Märchenfilm schauen, ohne jeden Anflug von schlechtem Gewissen. Noch bevor der Prinz auftaucht, ist er eingeschlafen.
    Nach fiebrig verbrachten Stunden will er aufstehen, doch es geht nicht. Die Beine sind steif wie Bretter, die Hände eiskalt. Mit der Krücke gelingt es ihm schließlich, den Rollstuhl zu angeln, aber er kommt nicht hoch. Erst beim vierten Versuch wirft er sich wie einen Mehlsack hinein. Seine Hände, was ist nur mit seinen Händen? Er spürt an ihnen kaum etwas, der Rollstuhl lässt sich nicht bewegen, es ist keine Kraft mehr da, für gar nichts.
    Ihm ist, als würde er alle Momente, die es ihm im Leben bisher schlecht ging, gleichzeitig durchmachen. Eigentlich müsste er jetzt verzweifeln, aber selbst dafür bringt er keine Kraft auf. Irgendwie gelingt es ihm, an das Telefon zu kommen. Seine Finger rutschen an den Tasten ab, nicht einmal dafür reicht es. Regungslos bleibt er sitzen, die Stirn auf die Schreibtischplatte gesenkt.
    Es gibt keinen Trost, denkt er. Ich bin in diesem Körper verloren gegangen. Das ist mehr, als in einen Abgrund zu schauen. Es ist wie – für alle Ewigkeit auf diesen Abgrund verbannt zu sein.
    Die Melodie von Morgen wird die Sonne wieder scheinen ist verklungen. Er lauscht und hört nichts. Nur Stille und das Tropfen des Zerfalls. Max ist untröstlich und sehnt sich dennoch nach Trost. Was für ein quälender Widerspruch.
    Als seine Schwester kommt, ist er vollauf damit beschäftigt, sich Gründe auszudenken, warum er auf keinen Fall ins Krankenhaus kann.
    Nach ihrem Besuch geht es ihm besser. Obwohl sie gar nichts Aufmunterndes gesagt hat. Weder » Du Armer« noch » Heile, heile Segen«. Und dennoch überlegt Max schon wieder, was er an diesem Tag hätte alles machen wollen und wann er dies stattdessen erledigt.
    Weiter, nur immer weiter.
    In der Küche steht der aufgeklappte Laptop. Ein sanfter Hauch erweckt ihn zum Leben. Vor dem Foto mit dem Starnberger See baut sich das geöffnete Schachprogramm auf. Die Partie gegen den Computer hast du nicht zu Ende gebracht. Die Stellung ist zwar verfahren, aber nicht aussichtslos. Ohne einen Ausfallangriff würde die Maschine den leichten Vorteil wohl in einen Sieg verwandeln. Man könnte aber auch mit dem Turm … Eigentlich ist es nicht gestattet. Doch du schläfst unruhig voller wild durcheinander genommener Tabletten. Das Spiel hast du garantiert vergessen. Nur ein paar Züge, nur bis sich das Blatt wendet …
    Auf einmal hat man gewonnen und weiß nicht, wie man das Programm schließt. Verdammt.
    Als Max am übernächsten Tag den ausgehungerten Laptop an das Stromkabel anschließt, leuchtet die Schlussstellung auf. Ohne sie sich anzusehen, klickt er sie weg. Er muss sofort raus.
    Wie ist das möglich, so selig zu sein, nur weil man wieder über seine Hände verfügt? Weil wieder Kraft in einem ist, es irgendwie weitergeht. Max kann sein Glück kaum fassen. Raus jetzt!
    Die ersten, stillen Takte aus einem Streichquartett von Beethoven hallen durch seinen Kopf: der Heilige Dankgesang eines Genesenen, in der lydischen Tonart. – Voller Hochachtung verneigt er sich vor dem tauben Komponisten. Der hat auch als Kranker Anstand bewiesen.
    Max bleibt auf dem Bürgersteig vor seinem Lieblingscafé so plötzlich stehen, dass eine Frau mit Kinderwagen gerade noch ausweichen kann. Jetzt hat er es verstanden! Wie ein Blitz ist die Erkenntnis in ihn gefahren: Alles Jammern ist nichts anderes, als eine wenig elegante Form, sich zu trösten. – Warum hat er das noch nie bemerkt?
    Was, wenn alle die, die er bislang für Waschlappen gehalten hat, nur besonders gute Tröster ihrer selbst wären? Dafür nehmen sie sogar in Kauf, dass man sie für Spielverderber hält. So jemand wie Sandra: Sie, die seit Jahren über den vor ihr liegenden Arbeitsberg klagt, tröstet sich damit selbst. Oder sein Freund Tom, der tröstet sich mit seiner Schwarzseherei vor dem Schwarzen.
    Überall da, wo Max bislang Verzagtheit vermutet hat, steckt Stärke. Sich selbst streicheln, sich selbst eine Hand auf die Schulter legen. Deswegen überhören sie all die guten Ratschläge, weil es gar

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