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Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Mein Schutzengel ist ein Anfaenger

Titel: Mein Schutzengel ist ein Anfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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bedingungslos an.«
    Max nickt. Trotz der vielen Vorlagen weigert er sich, selbst etwas zu dem Thema beizusteuern.
    » Wenn ich«, fährt Robert fort, » zu den Kids sage: ›Alles wird gut‹, bekomme ich manchmal ein furchtbar schlechtes Gewissen, denn es wird ja nicht alles gut. Oder doch?«
    Erwartungsvoll sieht er Max an, als müsste der ihn wenigstens jetzt bestätigen, in seiner Doppelfunktion als Onkel und Trost-Experte. Wieder übergeht Max die Anspielung und sagt stattdessen: » Aber es wirkt. Vielleicht ist genau das der Beweis, dass doch alles gut werden kann, sonst würden sie viel früher misstrauisch. Kinder glauben den Erwachsenen im vollkommenen Vertrauen darauf, dass es stimmen muss: Irgendwann wird alles gut. Getröstetwerden hat ja auch etwas mit Hingabe zu tun. Deswegen wird das Trostspenden in erster Linie von Gott und Eltern erwartet. Selbst der bestgemeinte Trost gedeiht nicht, solange der Boden dafür nicht bereitet ist.«
    Robert nickt wie ein schwerhöriger Politiker.
    Vielleicht macht es der pastorale Tonfall, trotzdem ist Max erschreckt, wie widerspruchslos ihm seine Predigten abgenommen werden. Dabei traut doch in Wahrheit keiner dem Trost des anderen.
    » Wahrscheinlich hast du Recht«, sagt Robert. » Mit Kindern ist es ja auch so, dass man durch ihre bloße Existenz viel mehr Trost bekommt, als man ihnen spendet.«
    » Das hat schon Richard Wagner gewusst.«
    » Wie kommst du jetzt auf Wagner?«
    Ohne sein Einverständnis einzuholen, legt Max die letzte CD einer Walküre -Aufnahme ein. Und kommentiert die Handlung parallel wie ein Stadionsprecher, um von dem Pastorentonfall wegzukommen: » Wir sind kurz vor dem Ende des zweiten Teils des Ring des Nibelungen. Zwei Frauen sind auf der Flucht vor dem obersten Gott. Wotan verfolgt die beiden voller Ingrimm. Inzest, das geht einfach nicht. Und damit nicht genug, seine Tochter gehorcht seinen Befehlen nicht mehr und flieht ausgerechnet mit der Frau, die mit ihrem Bruder geschlafen hat. Da weiß Sieglinde noch nicht, dass sie schwanger ist. Alles in allem also eine recht chaotische Ausgangslage, wie immer bei Wagner. Brünnhilde weiß jedoch, dass sie die schwermütige Frau nur retten kann, wenn sie ihr frischen Lebensmut einimpft. Und genau deshalb sagt sie ihr das mit der Schwangerschaft. Es wirkt tausendmal besser als erhofft. Robert, pass auf, gleich ist es so weit, gleich bricht es aus Sieglinde heraus: ›O hehrstes Wunder! Herrlichste Maid! Dir Treuen dank’ ich heiligen Trost!‹ – Hörst du das, Robert? Kinder sind heiliger Trost. Dieses Motiv kommt nur noch einmal vor, ganz am Schluss bei der Götterdämmerung, wenn im Hintergrund Walhall brennt und die Menschen am Ufer des Rheins stehen. Diese paar Töne. Neun, um genau zu sein, in denen ist alles. Mehr lässt sich mit Musik nicht sagen: heiliger Trost. Es wird weitergehen, nach jedem Brand. Das ist das Geheimnis. Aller Trost ist auf das Ende hin ausgerichtet. Und gleichzeitig auf den Neubeginn.«
    » Ganz schön laut, dein Trost«, sagt Robert, » genau wie meine Kinder.«
    Ich habe währenddessen nicht auf den Krach aus den Boxen geachtet, sondern auf die Filmsequenz, die immer wieder in deinem Kopf ablief:
    Im Flur eines Gasthofs auf dem Land, im Frühling. Dein Neffe, ein Knirps von vielleicht zwei Jahren, fasst in Ermangelung der Hand an deine Krücke. Nach zwei Schritten passt er sich deiner verminderten Geschwindigkeit an. Mehr noch, der Kleine führt dich sacht, nicht umgekehrt. Und bringt durch diese kleine Geste dein Herz dazu, schneller zu schlagen.

26.
    Es ist wohl deutlich bequemer, andere zu heilen als sich selbst.
    Er könnte nicht benennen, seit wann, aber die Verbindung zu seiner Leber ist abgerissen. Wie eine von der Telekom vergessene Leitung. Er legt die Hand darauf. Und nichts geschieht. Nicht einmal das übliche Niesen, nichts, nur Gemurre und Gezerre unter seinen Händen. Als wäre die Leber zu beschäftigt, um das Kino für ihn anzuwerfen, und das, obwohl er ihr zuliebe seit der Grippeattacke keinen Alkohol trinkt.
    Dabei hat er sich von Karl alles genau erklären lassen. Eine einzige Frage nach der Leber löste einen fast einstündigen, alle Organe umfassenden Monolog aus, von dem Max allerdings nur Bruchstücke behalten hat: Im nächsten Schritt solle er eine Niere gedanklich in einen Schuhkarton legen, diagonale Vektoren durch diesen ziehen und schließlich zusammendrücken … Er könnte auch auf einer dreidimensionalen Acht seine

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