Mein Sommer nebenan (German Edition)
Ich habe mir ein bisschen Spaß verdient«, sagt Tracy trotzig und greift nach ihrem Wasserglas. »Stimmt’s, Flip?«
Flip hat sich in weiser Voraussicht über den Brotkorb hergemacht, sodass er gerade nicht antworten kann, weil er auf einem dick mit Ahornbuttercreme bestrichenen Brötchen kaut.
»Dadurch dass sie mich am Middlebury College angenommen haben, muss ich mich auch nicht mehr um einen Studienplatz kümmern und kann mich entspannt zurücklehnen.«
Mom zieht die Brauen hoch. »Wer es im Leben zu etwas bringen will, kann sich nie entspannt zurücklehnen.«
»Flip?«, fragt Tracy noch einmal, aber der ist immer noch mit seinem Brötchen beschäftigt und bestreicht schon das nächste mit Butter.
Mom richtet ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Dann also zu dir, Samantha. Ich möchte sichergehen, dass du gut auf den Sommer vorbereitet bist. An wie vielen Tagen in der Woche arbeitest du vormittags im Breakfast Ahoy?« Sie sieht den Kellner, der uns gerade Eiswasser nachschenkt, mit ihrem gewinnenden »Bring das gemeine Volk auf deine Seite«-Lächeln an.
»An drei, Mom.«
»Dazu kommen die zwei Tage, an denen du als Rettungsschwimmerin hier im Club bist.« Sie runzelt leicht die Stirn. »Bleiben also noch drei Nachmittage, an denen du frei hast, zuzüglich der Wochenenden. Hmm.« Sie bricht ein Brötchen in zwei Hälften und bestreicht eine davon mit Butter. Essen wird sie sie nicht. Sie macht das nur, um sich besser konzentrieren zu können.
»Großer Gott, Mom! Samantha ist siebzehn!«, stöhnt Tracy. »Lass ihr doch auch ein bisschen Zeit für sich.«
Noch während sie spricht, fällt ein Schatten auf den Tisch, und unsere Köpfe rucken gleichzeitig nach oben. Es ist Clay Tucker.
»Grace« – er küsst meine Mutter zur Begrüßung auf die Wange, dann zieht er den Stuhl neben ihr hervor, dreht ihn um und setzt sich rittlings darauf – »endlich lerne ich auch den Rest deiner wunderbaren Familie kennen.« Er zwinkert mir zu, bevor er sich lächelnd Tracy und Flip zuwendet. »Ich wusste gar nicht, dass du auch einen Sohn hast.«
Tracy und Mom beeilen sich, dieses Missverständnis aufzuklären, als der Kellner mit der Speisekarte kommt, was eigentlich völlig unnötig ist, da das B&T so ungefähr seit der Erfindung von Poloshirts und Bootsschuhen jeden Freitag das gleiche Menü anbietet.
»Ich sagte gerade zu Tracy, dass sie sich für den Sommer ein paar ehrgeizigere Ziele setzen sollte«, meint Mom und reicht Clay ihre gebutterte Brötchenhälfte, »als nach Martha’s Vineyard zu fahren und dort bloß Spaß haben zu wollen.«
Moms neuer Freund legt die Unterarme auf die Rückenlehne seines Stuhls und sieht Tracy mit schräg gelegtem Kopf an. »Ich glaube, dass ein unbeschwerter Sommer fern von zu Hause genau das Richtige für deine Tracy ist. Außerdem ist das eine gute Vorbereitung für ihr zukünftiges Leben als Studentin, und du hast dadurch mehr Zeit, dich auf deinen Wahlkampf zu konzentrieren.«
Mom sieht ihn einen Moment lang schweigend an und entdeckt in seiner Miene anscheinend irgendwelche für uns anderen unsichtbaren Signale. »Tja, so gesehen …«, räumt sie schließlich ein. »Vielleicht bin ich wirklich ein bisschen voreilig gewesen, Tracy. Wenn du mir die Namen, Telefonnummern und Adressen der Leute, mit denen du dir das Haus teilst, und deine Arbeitszeiten aufschreibst, dann …«
»Gracie«, unterbricht Clay Tucker sie schmunzelnd, »hier geht es um deine Familie, nicht um Politik. Wir müssen es mit den Sicherheitsvorkehrungen nicht übertreiben.«
Mom errötet und lächelt ihn an. »Du hast ja so recht, Honey«, flötet sie. »Dein dummes kleines Mädchen vergisst manchmal, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht.«
Seit wann redet meine Mutter wie eine typische Südstaatlerin? Es ist, als würde sie sich vor meinen Augen in Scarlett O’Hara aus »Vom Winde verweht« verwandeln. Ob sie es auf diese Weise schafft, in Connecticut wiedergewählt zu werden?
Verstohlen hole ich mein Handy heraus und schreibe Nan unter dem Tisch eine SMS: Mom wurde von Aliens gekidnappt. Was soll ich tun?
Hey, weißt du was ich gerade erfahren hab?, schreibt Nan zurück, ohne auf meinen Hilferuf einzugehen. Ich habe den Lazlo-Preis für Literatur gewonnen! Mein Essay über Huckleberry Finn und Holden Caulfield wird im CT State Lit Journal veröffentlicht!!!!! Letztes Jahr haben sie Daniels Essay abgedruckt und er meint, das wäre sein Freifahrtschein fürs MIT gewesen!!! Columbia University
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