Mein Tag ist deine Nacht
beiden hinauszulassen. Das Motorrad war an uns vorbeigefahren, doch ich sah, dass es ein Stück weiter vorn am Straßenrand anhielt. Der behelmte Kopf drehte sich in meine Richtung, und ich zwang mich, demonstrativ wegzusehen, als ich die Zwillinge in die Schule führte.
Sobald wir das alte Schulgebäude betreten hatten, wurde meine Aufmerksamkeit durch die Dringlichkeiten des Augenblicks beansprucht: Wohin hing man die Mäntel der Kinder, in welches Klassenzimmer brachte man sie, und wohin stellte man ihre Getränke für die Pause? Alles war in kräftigen Farben gestrichen, an den Wänden liefen Alphabetborten entlang, es gab Stapelboxen für Spielsachen in fröhlichen Farben, bunte Teppiche auf dem aufgesprungenen Linoleumboden und Reihen über Reihen von Kleiderhaken, jeder mit einem Erkennungsbildchen daneben.
»Guten Morgen, Mrs.Richardson«, grüßte mich eine lächelnde Lehrerin, nahm Toby an der Hand und führte ihn zu einer rechts vom Hauptraum liegenden Tür. »Toby, du bist wie üblich hier mit Mrs.Wells.«
Ich spürte, wie Teddy meine Hand fester umklammerte, und ich blickte hinab und sah, wie er die Lehrerin, die ihre Aufmerksamkeit jetzt ihm zuwandte, mit offener Feindseligkeit anstarrte.
»Und du bist heute bei Miss Stevens, Edward. Komm mit.«
»Nein!«, sagte Teddy und versteckte sich hinter mir. »Mag nicht!«
»Na, komm schon, Teddy«, redete ich ihm gut zu. »Dir gefällt’s doch im Kindergarten, oder nicht? Bestimmt gibt’s doch ein Menge Bilder zu malen?«
»Will mit Toby gehen.«
»Edward, du kannst nicht mit deinem Bruder gehen«, versetzte die Lehrerin streng. »Du musst mit Miss Stevens arbeiten, bis du gelernt hast, ruhig zu sitzen und deine Buchstaben zu malen.«
Teddy fing zu weinen an, und ich kauerte mich neben ihn und hielt noch immer seine Hand.
»Was ist denn los?«, fragte ich sanft. »Vor den Ferien warst du doch glücklich hier, oder?«
Er schüttelte den Kopf, und sein Gesicht verzerrte sich in der Bemühung, sich das Weinen zu verkneifen. Er hielt seinen Ball umklammert, und nun ließ er meine Hand los, um ihn sich an die Brust zu drücken.
»Will mit Toby gehen.«
»Mrs.Richardson, Sie gehen am besten«, sagte die Lehrerin. »Sobald Sie fort sind, beruhigt er sich.«
Ich richtete mich auf. Ich verließ Teddy nur schweren Herzens, war mir aber nicht sicher, ob ich nicht alles noch schlimmer machte, wenn ich blieb. Ich fragte mich, ob er sich unsicher fühlte, weil er wollte, dass seine wirkliche Mutter ihn zur Schule brachte. Wenn ich ging, überlegte ich mir im Gehen, dann würde er vielleicht nicht mehr an mich denken und zur Ruhe kommen.
Teddy sah das offenbar anders, und ich war kaum zur Tür hinaus, da kam er auch schon hinter mir hergestürmt und schrie, ich solle nicht weggehen. Ich wäre instinktiv zu ihm zurückgelaufen, doch die Lehrerin erwischte ihn und hielt ihn fest, während er weinend um sich schlug.
»Bitte gehen Sie, Mrs.Richardson«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Gleich ist alles in Ordnung, das verspreche ich Ihnen.«
Ich lief los, wobei mir Teddys Schreie noch immer in den Ohren gellten, und klopfte dann schließlich an einer Tür seitlich am Gebäude, die mit »Rektorat« gekennzeichnet war, und trat ein. Eine bebrillte Sekretärin saß an einem Schreibtisch und sah einen Stapel Briefe durch. Bei meinem Eintreten lächelte sie mich mit ihren grell geschminkten Lippen dünn an.
»Ah, Mrs.Richardson, Miss Webb erwartet Sie, bitte gehen Sie doch zu ihr durch.«
Ich blickte mich um und sah eine zweite Tür, die mit »Rektorin« gekennzeichnet war, klopfte und ging hinein.
Die Frau mit stahlgrauem Haar, die hinter einem riesigen Schreibtisch saß, blickte auf und schenkte mir ein noch dünneres Lächeln. Eigentlich sah es fast schon mehr wie eine Grimasse aus, fand ich und war auf der Stelle auf der Hut.
»Mrs.Richardson, bitte nehmen Sie doch Platz.«
Das war eindeutig ein Befehl und keine Einladung, und ich gehorchte widerstrebend. Der Besucherstuhl war eine Spur niedriger als der von Miss Webb, so dass ich mich augenblicklich benachteiligt fühlte. Ich warf einen Blick auf die weiß getünchten Ziegelwände, wo mehrere Schaubilder und Zeitpläne perfekt aufgereiht hingen. Das Büro war ein schmuckloser Arbeitsbereich, der, so argwöhnte ich, den Charakter der Rektorin widerspiegelte, und keine der fröhlichen Farben des Kindergartens selbst aufwies.
Miss Webb, deren Ellbogen auf dem Schreibtisch ruhten, beugte sich zu
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