Mein Tag ist deine Nacht
Elsie zum Schrank ging und den Staubsauger wegräumte. »Diesen zweiten Namen hätte Mutter dir nie geben dürfen, stimmt’s? Merkst du, wie verwirrend das ist?«
»Mir ist es gleich, ob du mich Lauren oder Jessica nennst«, erwiderte ich ebenso laut. »Schwestern haben da Narrenfreiheit. Stör dich dann aber bitte auch nicht daran, wenn ich anfange, dich mit deinem zweiten Vornamen anzusprechen!«
Wir lachten, und als Elsie mit der Politur und einem Staubtuch zurückkam, wirkte sie entspannter. Sobald wir hörten, dass sie wieder nach oben ging, zischte ich Karen zu: »Du musst versuchen, mich Lauren zu nennen! Schließlich will ich nicht in einer Irrenanstalt enden oder, noch schlimmer, in einem wissenschaftlichen Labor, wo die Ärzte mich dann sezieren und einzelne Stückchen von mir abtrennen!«
»Ich weiß, tut mir leid«, meinte sie betreten. »Das Problem ist, nun, da ich weiß, wer du wirklich bist, wirkst du überhaupt nicht wie Lauren. Ich habe mich damit abgefunden, dass meine Schwester vermutlich tot ist, und es fällt mir wirklich schwer, dich hier herumlaufen zu sehen, geschweige denn, dich mit ihrem Namen anzusprechen.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich bin ja auch nicht glücklich darüber. Ich möchte nicht wie sie aussehen, Karen. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir die Haare in Laurens Naturton umfärben zu lassen. Nach den Haarwurzeln zu urteilen, hat sie denselben Ton wie du und Nicole, oder?«
Karen nickte. »Das nehme ich an. Ihre natürliche Haarfarbe habe ich allerdings nicht mehr zu Gesicht bekommen, seit wir beide Kinder waren.«
»Würde es dir helfen, wenn ich nicht mehr so sehr wie sie aussähe?«
Karen lächelte. »Es wäre interessant. Aber dadurch würde es noch schwieriger, sich daran zu erinnern, dich mit ihrem Namen anzusprechen.«
Den restlichen Tag verbrachte ich damit, örtliche Schulen anzurufen und um einen Termin zu bitten, um über Toby und Teddys besondere Bedürfnisse zu reden, Laurens Unterschrift zu üben, in ihrem Terminkalender nach anstehenden Ereignissen zu sehen und für den folgenden Tag einen Friseurtermin auszumachen. Außerdem sortierte ich haufenweise saubere Kleidungsstücke in Schränke ein und hoffte dabei, sie kämen jeweils zum richtigen Besitzer zurück.
Als ich aufbrach, um die vier wieder abzuholen, zitterte ich vor Erschöpfung. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass eine Familie so viel Arbeit bedeutete! Es besorgte mich, dass Karen mir so viel davon abnahm, wo sie uns doch in der Woche darauf wieder verließ, und ich dankte meinen Glückssternen, dass Grant Elsie eingestellt hatte. Dennoch würde die kommende Woche schwierig werden, vor allem, weil ich rechtzeitig für die Schule aufstehen musste.
Als ich den Wagen aus der Garage setzte und dann die Zufahrt entlangfuhr, warf ich einen Blick auf die Straße, und das Herz wurde mir noch schwerer. Der Motorradfahrer war wieder da, hielt an der nächsten Kreuzung, sein schwarz behelmter Kopf blickte in meine Richtung. Augenscheinlich ließ Jason sich durch ein paar bittere Wahrheiten nicht abschrecken.
»Hau ab!«, murmelte ich, und stieß mit der Handfläche gegen das Lenkrad. »Lass mich in Ruhe, du Spinner!«
Ich drückte aufs Gas, doch ein Blick in meinen Rückspiegel sagte mir, dass er mir in gewissem Abstand folgte. Er blieb die ganze Strecke bis zum Kindergarten hinter mir, wo ich ein Stück weiter am Straßenrand parkte, und er saß immer noch dort, als ich mit den beiden Jungen an den Händen herauskam und sie in ihren Kindersitzen angurtete.
Auf der Fahrt zur Mädchenschule merkte ich, dass ich mehr Zeit damit verbrachte, in den Rückspiegel zu sehen als auf die Straße vor mir, und ich zwang mich, den Mann einfach nicht mehr zu beachten. Doch zu meiner Bestürzung folgte mir das Motorrad direkt aufs Schulgelände. Ich stieg aus, um mit den anderen Müttern zu warten, und warf immer mal wieder einen Blick zu ihm hin, bis mich eine der Mütter fragte, ob ich ihn kenne.
Ich schüttelte den Kopf. »Er hat nichts mit mir zu tun.«
Sobald Sophie und Nicole herauskamen, trieb ich sie zum Auto, in der Angst, dass der Kerl mich immer noch beobachtete.
»Hattet ihr einen schönen Tag?«, erkundigte ich mich mit falschem Enthusiasmus, während sie sich anschnallten.
»Ich hab meiner Klasse von Ginny erzählt«, erwiderte Nicole glücklich. »Die Lehrerin hat gesagt, ich darf sie mitbringen und allen zeigen. Darf ich, Mami?«
»Ich wüsste nicht, wieso nicht!«
»Mami«, meinte
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