Mein Tag ist deine Nacht
nicht etwas davon gesagt, meine Schwester käme zu Besuch?«, erinnerte ich mich plötzlich. »Kann sie Auto fahren?«
»Du liebe Güte, dass Karen kommt, hatte ich ja ganz vergessen. Ich habe mit ihr telefoniert, nachdem du ins Krankenhaus eingeliefert wurdest. Sie sagte, sie könne sich nächste Woche Urlaub nehmen und herkommen.« Er rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wenn wir sie nett fragen, könnte sie die Schulfahrten ja vielleicht ein paar Tage übernehmen. Das gäbe dir noch ein bisschen mehr Zeit, wieder auf die Beine zu kommen.«
»Wie ist sie denn so, meine Schwester? Kommen wir miteinander aus?«
Grant gab einen Laut des Unmuts von sich, und ich wusste, er kämpfte immer noch mit der ungeheuren Tatsache, dass ich mich an nichts erinnern konnte.
Da klingelte es, und ich rappelte mich auf, froh über einen Grund, von ihm wegzukommen. Ich ging zur Haustür und öffnete sie. Eine rundliche Frau stand davor. Sie trug eine sehr kurze Igelfrisur und große baumelnde Ohrringe. Aber was mich wirklich dazu brachte, sie unhöflich anzustarren, waren ihre Kleidungsstücke. Sie trug eine locker sitzende Seidenhose unter einer riesigen lila Bluse, die sich wie eine Minimarkise über ihren äußerst üppigen Busen spannte.
»Hallo, Schwesterherz!«, grüßte sie und hielt mir ihre Wange hin. »Grant sagte, du stündest mit einem Bein im Grab, aber hier stehst du nun, gesund und munter! Habe gedacht, ich komme mal und greife dir unter die Arme, solange dir’s schlechtgeht, aber wenn du möchtest, dass ich wieder verschwinde …«
»Karen?«
»Das bin ich, Schwesterchen. Man hat dich also aus dem Krankenhaus entlassen?«
»Es ist verrückt – gerade haben wir über dich gesprochen.« Ich sah sie abwägend an, und sie erwiderte meinen Blick, während ich nickte. »Ja, vorgestern bin ich entlassen worden, und nein, ich möchte nicht, dass du verschwindest.«
»Für jemand, der vor ein paar Tagen noch im Sterben lag, siehst du bemerkenswert gut aus. Kann ich reinkommen? Die Fahrt von London hierher war übel, und ich bin fix und fertig.«
»Natürlich, entschuldige, Karen. Komm herein. Du kommst genau rechtzeitig zum Mittagessen, wenn’s dich nicht stört, dass es sich um Pommes frites aus dem Backofen und Eiscreme handelt.«
Als hätte ich einen schlechten Scherz gemacht, starrte sie mich ungläubig an, doch das Lächeln erlosch, als sie mir in die Augen blickte.
»Du siehst … anders aus.« Sie ging an mir vorbei, und ich schloss die Tür. »Du hast etwas an dir … aber genau benennen kann ich’s nicht.«
Grants Erscheinen in der Diele rettete mich davor, dass meine Schwester erkannte, dass sich meine Augenfarbe leicht verändert hatte. Er warf einen Blick auf seine Schwägerin, eilte auf sie zu und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Nun, wenn man vom Teufel spricht! Ich dachte, du könntest erst nächste Woche kommen?«
»So wie du’s sagtest, klang es verdammt wichtig«, erwiderte Karen und ließ mitten in der Diele ihre Reisetasche auf den Boden plumpsen. »Als du aus dem Krankenhaus angerufen hast, dachte ich, Lauren stünde kurz davor, vor ihren Schöpfer zu treten. Ich habe um Sonderurlaub gebeten, und hier bin ich nun!«
Ich mochte sie bereits und lächelte sie an.
»Ich freue mich so, dass du gekommen bist«, erklärte ich ihr. »Ich weiß nicht, ob’s Grant dir erzählt hat, aber ich habe mein Gedächtnis verloren. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, wer ich bin oder wie mein Leben aussieht. Ich hoffe, du hilfst mir auf die Sprünge.«
»Heiliger Strohsack!«, rief sie aus.
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9
G rant nutzte die Gelegenheit und floh eilig mit den Worten, er habe seine Kontoführungsbücher in die Praxis gebracht, um sie dort durchzugehen. Er küsste uns beide, nahm seine Aktentasche und verschwand in die Garage.
»Da hat sich also nichts geändert«, bemerkte Karen und folgte mir in die Küche. »Hmm, gut riecht’s hier!«
Ich öffnete den Ofen und sah, dass die Pommes frites fast fertig waren.
»Ich rufe die Kinder zum Mittagessen rein«, meinte ich und schlüpfte in die Knöchelstiefel. »Teddy ist im Spielzimmer, du wirst staunen, was er gemalt hat, Karen. Er hat wirklich Talent!«
Mir war bewusst, dass der erstaunte Blick meiner Schwester mir folgte, als ich durch den Wirtschaftsraum in den Garten lief. Als ihre Schwester musste Karen Lauren besser kennen als jeder andere. Sie waren schließlich zusammen aufgewachsen, mussten nun die Stärken und Schwächen der
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