Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
schwer, einen Job in diesem Bereich zu finden. Nach ein paar Jahren am Bau nahm er eine Arbeit als Polier an. Das ist eine Berufsbezeichnung im Bauwesen, ein Polier ist Leiter für Mitarbeiter einer Baustelle oder
eines Baustellenabschnittes. Das war für Papa schon ein Aufstieg. Als der Krieg im Kosovo 1999 zu Ende ging, kündigte er trotzdem in seiner Firma. Er wollte unser altes Haus im Kosovo wieder aufbauen, das während der Kämpfe vollständig abgebrannt war. Papa besprach alles mit seinem damaligen Vorgesetzten – und der zeigte Verständnis. Sein Chef schrieb ihm ein ordentliches Zeugnis, sodass sich mein Vater später ohne Probleme wieder weiterbewerben konnte. Dann ist Papa in den Kosovo gefahren. Drei Monate dauerte der Wiederaufbau. Das war wichtig für ihn, für seine innere Ruhe.
Nach seiner Rückkehr wollte er nicht mehr auf den Bau, weil er sich auf Dauer körperlich nicht dazu in der Lage fühlte. Die Stadt Mönchengladbach gab ihm dann die Möglichkeit, eine Berufskraftfahrer-Ausbildung zu absolvieren. Sechs Monate musste Papa in die Fahrschule und lernte, wie man Lkws und Busse sicher lenkt. Seit dem Jahr 2000 kutschiert mein Papa in Mönchengladbach die Leute per Bus durch die Stadt. Ich fuhr am Anfang immer extra viel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, nur um auf meinen Papa zu treffen. Der freute sich riesig, wenn seine kleine Lira einen Fahrschein bei ihm löste! Ich selbst platzte schier vor Stolz, wenn ich in dem Bus mitfahren durfte, den mein, ja, mein toller Papa lenkte!
Bis auf die Arbeitszeiten – manchmal darf mein Vater zu unmenschlicher Stunde wie etwa 4 Uhr früh seine erste Tour fahren – liebt mein Papa seinen Job bis heute. Am Anfang war er sehr skeptisch. Er wollte das nicht unbedingt durchziehen. Heute ist er mit seiner Situation sehr zufrieden. Er liebt es, mit Menschen zu kommunizieren. Und die Fahrgäste reden und lachen in Fahrpausen auch gern mit ihm. Papa ist nämlich ein lustiger Kerl. Klar, da sind auch mal schlecht gelaunte Leute in seinem Bus. Kein Wunder: Vor 6 Uhr früh sollte mich auch keiner ansprechen – Lebensgefahr! Ich bin ein bekennender Morgenmuffel.
Dennoch: Mein Papa hatte in seinem Job nie Probleme mit Deutschen oder anderen Nationalitäten. Er wurde nie blöd angemacht, Ausländerhass hat er nie zu spüren bekommen.
Papa sagt immer: »Man muss etwas tun und sich integrieren, die Menschen spüren das, wenn man wirklich will. Dann bekommt man auch etwas zurück, die Leute akzeptieren einen, nehmen einen in ihre Gemeinschaft auf.«
Dennoch können meine Familie und ich ganz gut verstehen, dass man Flüchtlingen erst einmal etwas skeptischer gegen übertritt. Da kommt jemand mit völlig anderen Traditionen, Ritualen, Angewohnheiten – und den soll jetzt jeder ohne Wenn und Aber akzeptieren? Können sich die Menschen überhaupt integrieren? Wollen sie es überhaupt? Es gibt so viele Negativbeispiele.
Glücklicherweise hat bei uns alles gut geklappt. Wir wurden bis auf wenige Ausnahmen gut aufgenommen. Dennoch war nicht immer alles so einfach …
Fatos besuchte in unserem ersten Jahr eine Vorschule. Aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse kam er später als üblich in die Schule. Das war praktisch für mich, denn wir gingen ab sofort in eine Klasse. Wir besuchten damals die Schule in Odenkirchen, das ist ein Ortsteil von Mönchengladbach. Noch während der Grundschulzeit sind wir dann innerhalb der Stadt nach Giesenkirchen gezogen, dort lebt meine Familie bis heute. Meine Grundschule und die spätere Hauptschule liegen vom Haus meiner Eltern keine 500 Meter entfernt.
Jedenfalls fand ich es spitze, dass ich mit Fatos zusammen die Schulbank drücken durfte. Immerhin konnten wir uns somit gegenseitig unterstützen. Gerade in Mathe hatte ich das bitter nötig. Das war für mich ein ganz schlimmes Fach. Ich kam nie richtig mit. Die vier Grundrechenarten kriege ich noch gebacken, aber alles, was danach kommt, ist für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Textaufgaben bereiteten mir schlaflose Nächte, mit Geometrie stand ich auf Kriegsfuß. Zum Glück saß da mein lieber Bruder neben mir, von ihm konnte ich durchaus profitieren.
Ich revanchierte mich, wie sich das für eine ordentliche Schwester gehört, in anderen Fächern. Deutsch war so eine Stärke von mir. Ich liebte es, Aufsätze zu schreiben. Erlebnisberichte
– herrlich! Erwischt hat uns beim gemeinsamen Wissensaustausch glücklicherweise nie jemand. Manchmal hilft in so einem Fall auch
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