Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
geklaut. Klar, jeder musste irgendwie schauen, wo er bleibt. Von dem wenigen Geld, das wir bekamen, konnten wir keine großen Sprünge machen. Aber aus Armut gleich zu stehlen, kam für uns niemals infrage. Wir waren ein karges Leben aus den letzten Jahren im Kosovo gewohnt, es fiel meiner Familie d aher nicht sonderlich schwer, sich von Billiglebensmitteln zu ernähren und kein Geld für irgendwelchen zusätzlichen »Luxus« zu haben.
Immerhin genossen wir den Fortschritt, dass die Heimleitung uns diesmal ein eigenes Zimmer nur für uns fünf allein zuwies. Es wurde für ein Jahr unser Zuhause. Der Raum, in dem wir lebten, war alles für uns: Wohn-, Ess- und Schlafzimmer. Ein Kinderbett nahm Fatos in Beschlag, im anderen schliefen Flakron und ich. Papa und Mama blieb das dritte Bett. Wenn wir duschen wollten, mussten wir uns einen Schlüssel für das Gemeinschaftsbad holen. Wir teilten es uns mit mehreren anderen Familien. Gekocht wurde in einer Gemeinschaftsküche. Für Bad und Küche war stets eine genaue Absprache mit anderen Heimbewohnern vonnöten, sonst wären sich die einzelnen Familien ordentlich in die Quere gekommen.
Jeden Freitag rückte das Rote Kreuz mit Anziehsachen an. Die haben getragene Kleidung günstig an die Heimbewohner weiterverkauft oder zum Teil auch verschenkt. Unser Zimmer lag ja gleich am Eingang, und somit konnte ich immer sehen, wann der »Kleiderwagen« vorfuhr. Ich informierte sofort Mama, denn manchmal waren für uns Kinder ein paar Klamotten drin. Ja, ja, ich fühlte mich auch in diesem zarten Alter schon für ein ordentliches Outfit verantwortlich …
Schon im Januar 1994 fand mein Papa seine erste Anstellung. Er arbeitete in Mönchengladbach auf dem Bau. Sein Cousin Fadil, der bereits länger in Deutschland lebte – wie meine Cousine Mimi und Mentor und überhaupt ein großer Teil meiner weitverzweigten Familie ist auch Fadil geflohen -, hatte ihm die Stelle besorgt. Er war auf der gleichen Baustelle beschäftigt und hatte bei seinem Chef nachgefragt. Der wollte es einfach mal mit dem neuen Mann probieren und es klappte recht gut. Ehrlich gesagt, hatte mein Vater zu diesem Zeitpunkt null Ahnung vom Hausbau, schließlich war er gelernter Karosseriebauer. Doch irgendwie ging das. Papa war bemüht, sich stets anzupassen, und sehr lernwillig. Zudem unterstützte ihn Cousin Fadil. Nervig gestaltete sich für meinen Vater bloß die ständige Fahrerei von Remscheid nach Mönchengladbach und zurück. Das sind einfache Wegstrecken um die 100 Kilometer.
Von Papas erstem Gehalt entführten uns meine Eltern in einen Freizeitpark ganz in die Nähe von Remscheid. Das empfanden wir Kids als eine Riesensache: Karussellfahren, Geisterbahn, Losbuden und viele Knabbereien. Mama schwärmt noch heute von unseren leuchtenden Augen.
Meine Eltern meldeten sich im ersten Jahr freiwillig für einen Abendkurs an, um Deutsch zu lernen. Das hatte uns die Stadt Remscheid angeboten. Jeden Abend durften Papa und Mama zwei Stunden die Schulbank drücken. Auf Dauer war das ein Problem, denn Papa arbeitete sehr lange und kam oft erst sehr spät ausMönchengladbach zurück, Mama musste auf uns aufpassen und hatte eigentlich keine Chance, so richtig Deutsch zu lernen. Sie konnte uns ja nicht allein lassen. Und so eine eigene Kinderbetreuung im Asylantenheim gab es nicht. Es war also kaum möglich, alle Deutschstunden zu belegen. Papa baute zumindest auf der Baustelle seine Sprachkenntnisse weiter aus, Mama hatte es in den eigenen vier Wänden ohne große Anbindung an die Außenwelt bedeutend schwerer. Das ist kein Phänomen, was nur meine Mutter Ganimet Bajramaj betraf. Oft sind es wirklich die Frauen von Einwanderungsfamilien, die sich mit der Sprache und der Anpassung in der Fremde so schwertun. Das hat in der Regel nichts mit Faulheit
oder mangelndem Interesse an der Integration zu tun, sondern hat ganz pragmatische Gründe. Während der Mann fürs Geldverdienen zuständig ist und unter Leute kommt, sind d iese Frauen durch die Erziehung und Betreuung der Kinder gebunden. Meine Mutter verspürte stets eine große Unsicherheit, wenn sie raus auf die Straße, in die für sie neue Gesellschaft ging. Mühsamer als wir anderen vier erarbeitete sie sich die Sprache und die Eigenarten der für sie noch fremden Kultur. Sicher, Papa ernährte uns durch seine Arbeit und seinen Lohn, das, was Mama aber in dieser Zeit geleistet hat, kann man nicht hoch genug anrechnen. Heute fühlt auch sie sich in Deutschland
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