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Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Titel: Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lira Bajramaj
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eine Sprache, die keiner spricht: Fatos und ich verständigten uns in brenzligen Situationen stets auf Albanisch. Einmal hat die Mathelehrerin unsere Kurz-Unterhaltung während einer Arbeit mitbekommen. Sie wollte mir schon das Blatt wegnehmen. Ich sagte ihr dann, dass ich mir nur einen Stift von meinem Bruder borgen wollte. Eigentlich aber fragte ich ihn nach dem Ergebnis bei der dritten Teilaufgabe. Ich habe die Lösung leider nicht mehr erfahren, schließlich konnte ich meinen Bruder nicht x-mal während einer Klassenarbeit nach einem Schreibgerät fragen …
    Fatos und ich verbrachten auch die Pausen zusammen und wir liefen nach der Schule gemeinsam nach Hause. Wir waren die einzigen Ausländer in unserer Klasse und damit wie ich schon im Kindergarten Außenseiter. In den Pausen wurden wir kaum beachtet, wir machten unser Ding. Weil Fatos und ich so wahnsinnig schüchtern und ängstlich waren, holte uns zu Beginn unserer Schullaufbahn O nkel Luan oder Opa Ramush immer ab. Sie wollten uns den Schulstart etwas erleichtern, machten uns Mut und gaben uns Sicherheit. Unsere Eltern konnten das ja nicht tun: Mama musste auf Flakron aufpassen, Papa war arbeiten.

    Fatos und ich mit Schultüte – frischgebackene Erstklässler

    In die Odenkirchner Schule gingen einige Schüler mit M igrationshintergrund. Und es gab da diese halbstarken Jungs aus den höheren Klassen, die uns unbedingt ärgern wollten. Die Kerle haben uns regelmäßig beschimpft. Es ging meistens um unsere Klamotten oder auch um unsere Schulranzen. Unsere Familie musste damals auf jeden Pfennig schauen, meine Eltern konnten Fatos und mir somit auch nicht den megahippen Schulranzen oder schicke Anziehsachen finanzieren. Klar hatten wir nicht die beste Kleidung, aber wir sahen auch nicht verwahrlost aus. Meine Eltern achteten sehr wohl darauf, dass wir gepflegt aus dem Haus gingen. Markenklamotten waren damals jedoch utopisch. Jedenfalls war unser »billiges Aussehen« Anlass, um uns zu hänseln. Diese Jungs riefen: »Wie seht denn ihr aus? Ist euch so ein Ranzen nicht peinlich?«
    Manchmal, wenn sie aggressiv drauf waren, beschimpften sie uns als »Scheiß-Zigeuner« oder »Scheiß-Türken«. Meinen Bruder und mich hat das auf dem Heimweg immer in Angst versetzt. Fatos sollte mich – wenn es nach meinem Papa ging – eigentlich beschützen. Und tatsächlich stellte er sich immer vor mich, wenn es unangenehm wurde. Doch mein großer Bruder war damals noch eine Spur zurückhaltender als ich. Fatos blieb stumm, wenn ihn irgendjemand angemacht hat. Gegenwehr kam von ihm schon gleich gar nicht. Sagen wir es mal so: Er hat versucht, mich zu beschützen. Zu zweit fühlten wir uns auf alle Fälle sicherer und ertrugen die verbalen Attacken mancher Schulkameraden. Als alle wussten, dass Fatos mein großer Bruder ist, hat mich kaum einer aus meiner Klasse mehr angefasst. Und seit ich Erfolg mit dem Fußball hatte, gab es tatsächlich keine ausländerfeindlichen Sprüche mehr.
    Wir stammen ja aus einem kleinen Dorf im Kosovo, in dem jeder jeden kannte. Wir liebten das Landleben auf unserem beschaulichen Bauernhof. Plötzlich mussten wir Kinder uns in einer Stadt zurechtfinden. Andere Dimensionen, andere Sprache, andere Leute. Und Waren im Überfluss. Im Kosovo gab es auch vor den Kriegszeiten nicht gerade viel in den Läden. Okay, die Grundnahrungsmittel waren da, aber ansonsten
sah es ziemlich mau aus. Teenager konnten also nicht, wie in Deutschland seit Jahrzehnten üblich, zwischen 20 Jeans wählen – es gab, wenn überhaupt, nur ein Modell.
    Mama hat im Kosovo und in unserer Anfangszeit in Deutschland auf sehr, sehr viel verzichtet. Sie wollte uns Kindern immer so viel wie möglich geben. Als wir schon in Giesenkirchen lebten, fragte mich Mama eines Tages nach einem schwarzen Filzstift. Meine Mutter besaß zu dem Zeitpunkt nur wenige Hosen, eine davon war eine schwarze Jeans. Die wurde durch das jahrelange, häufige Tragen immer dünner, die Fäden kamen schon heraus – und die waren weiß. Damit die Jeans noch einigermaßen akzeptabel aussah, hat Mama die weißen Fäden mit dem Filzstift schwarz gefärbt und die Hose weiter getragen.

    Für meine Mama standen wir immer an erster Stelle
    Wir mussten uns eben finanziell sehr einschränken. Von dem Geld, das Papa heimbrachte, konnten wir gerade so leben. Als Kind kapiert man das ja nicht unbedingt sofort, warum einem die Eltern nicht dies und das kaufen. Schließlich
besitzen andere Kinder so tolle Spielsachen.

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