Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
integriert und wohl.
Ganz damenhaft mit Kleid und Hut: ich mit meinen Brüdern und Mama 1994 in Remscheid
Bereits in Remscheid schickten meine Eltern Fatos zur Vorschule. Eigentlich hätte er schon in die erste Klasse gemusst, weil er aber auch nur wenige Brocken Deutsch sprach, war das nicht möglich. Mir sagten Mama und Papa eines Morgens: »Du gehst jetzt in den Kindergarten, dann kannst du mit den anderen Mädchen und Jungen spielen.« Also schubsten sie mich rein ins kalte Wasser – und ich ging fast unter. Ich konnte kaum »Guten Tag« sagten, verstand nichts. Meine Eltern brachten mich zu dieser Einrichtung und ließen mich mit den fremden Leuten zurück. Ja, da musste ich mich erst mal mit Händen und Füßen artikulieren. Das war schlimm. Alles fühlte sich so fremd für mich an.
Auf dem Weg zum Kindergarten: Papa, Fatos, Dardan, Flakron, Ramasan und ich (ganz rechts) in Remscheid
Die anderen Kinder konnten mit mir nichts anfangen. Ich beherrschte ihre Sprache nicht, das war eine enorme Hürde. Ich zog mich immer mehr zurück. Auch wenn es heute e igenartig klingt: Ich hatte ein bisschen Angst vor all diesen Kindern. Ich fühlte mich dort als Fremdkörper. Ich kannte ja nur unser Dorf im Kosovo, die Geborgenheit unserer Großfamilie mit vielen Cousins und Cousinen. Hier passte ich irgendwie nicht hin. Ich weinte immer, wenn mich Mama früh hinbrachte und wieder wegging. Meiner Mutter hat es am Eingang des Kindergartens damals fast das Herz zerrissen, wenn sie mich so in Tränen aufgelöst sah.
Zum Glück gab es noch Ramadan dort. Nicht die muslimische Fastenzeit, sondern einen kleinen Jungen. Er war in meinem Alter und zudem gebürtiger Kosovo-Albaner wie ich. Wir zwei konnten uns verständigen. Ramadan wurde mein Freund, wir verbrachten viel Zeit zusammen. Auch er lebte mit seiner Familie in unserem Heim, das machte vieles einfacher. Ich hatte also einen Kumpel, der mit mir im gleichen Haus wohnte, mit dem ich täglich spielen konnte.
Ich habe wirklich lange gebraucht, bis ich halbwegs brauchbares Deutsch draufhatte. Ich kann mich an eine Kindergärtnerin erinnern, die mich sehr unterstützt hat. Den Namen weiß ich nicht mehr, aber ich werde die ältere Frau mit ihren blonden Locken nie vergessen. Wenn ich mich in meine Ecke verkrümelte, kam sie auf mich zu. Wir malten zusammen Bilder, oder sie versuchte mir Dinge zu erklären. Der »blonde Engel« redete viel mit mir. Sie hat mich regelmäßig auf den Arm genommen. Das war schön. Vielleicht war sie auch so eine Art Schutzengel für mich …
Ramadan und ich waren die einzigen Ausländer in dem deutschen Kindergarten. Wenn die anderen Kinder draußen auf dem Spielplatz tobten oder zusammen aßen, wussten wir oft nicht, wie wir uns verhalten sollten. Wir wollten nichts falsch machen, wir wollten nicht anecken. Nach ein paar Monaten wurde es besser. Ein echter Eisbrecher war mein sechster Geburtstag am 1. April 1994. Aus dem Kosovo kennen wir
diesen Spaß mit dem Aprilscherz gar nicht. Heute muss ich mir von wahnsinnig witzigen Menschen an meinem Ehrentag immer denselben Spruch anhören. Mama hatte mir damals eine Packung »Schaumküsse« und viele Trinkpäckchen mitgegeben. Ich sollte das an die Kinder meiner Gruppe verteilen. Das kam gut an! Bestechung ist doch die halbe Miete …
Schließlich fand ich nach einiger Zeit neben Ramadan auch noch andere kleine Freunde im Kindergarten. Interessanterweise habe ich damals schon immer lieber mit Jungs gespielt. Mit den Mädels entwickelte sich häufiger Streit, oder wenn man so will: vorpubertärer Zickenkrieg. Ich hing auch später im Teenageralter immer mehr mit Jungs ab. Klar, heute habe ich meine beiden besten Freundinnen Coco und Mimi, aber darüber hinaus fühle ich mich in der Mitte von Jungs wohl. Das rührt wohl daher, dass ich mit zwei Brüdern aufgewachsen bin. Klettern, Rumräubern war da angesagt, aber sicher nicht mit Puppen spielen oder Seilspringen.
Nachdem mein Papa ein gutes halbes Jahr nach unserer Ankunft in Deutschland in Mönchengladbach auf dem Bau zu arbeiten begann, musste er sechs Monate lang jeden Tag von Remscheid hin- und herpendeln. Meine Mutter blieb mit uns Kindern immer allein zurück, das war keine Dauerlösung. So zogen wir Mitte 1994 um. Solange wir Geld vom deutschen Staat bezogen, durften wir keine eigene Wohnung haben, mussten somit im Asylantenheim leben. Mit dem ersten Geld von meinem Vater hätten wir uns eine preiswerte Wohnung zur Miete leisten können,
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