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Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Titel: Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lira Bajramaj
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Warum kann ich nicht auch so etwas Schönes bekommen? Lieben mich meine Eltern vielleicht nicht mehr so sehr? Ja, ich gebe es zu, solche Fragen stellen sich kleine Mädchen. Papa und Mama leisteten ganze Arbeit und mussten uns tagtäglich vertrösten. Sie haben uns das schonend beigebracht. Ich wollte gern ein Fahrrad haben. Papa sagte dann immer: »Später, das ist noch nichts für dich.« Als es irgendwie ging, organisierte mein Vater so einen Billigdrahtesel aus dem Supermarkt. In meinen Augen war es das schönste Fahrrad der Welt!
    Bei meiner Mama dauerte es wie schon erwähnt etwas länger mit dem Deutschlernen und der Integration. Sie kümmerte sich immer um uns Kinder, ließ alles andere liegen, damit es uns gut ging. So kam sie erst aus unserem Wohnheim-Zimmer in Remscheid kaum heraus, und auch in Mönchengladbach brauchte sie ihre Zeit, um sich zurechtzufinden. Einmal musste Mama zum Arzt, und ich half ihr als Übersetzerin. Wir haben zu Hause mit Mama Albanisch geredet, heute sprechen wir nur ab und zu noch unsere alte Sprache untereinander. Damals musste ich für meine Mutter auch sämtliche Telefongespräche übernehmen. Der Arzt jedenfalls fand die Situation total komisch und fragte mich vorwurfsvoll, warum meine Mutter nicht Deutsch spricht. »Hat deine Mama keine Lust, die Sprache zu lernen, oder was?«, kam doch da tatsächlich aus seinem Mund. Ich war schockiert und leider noch zu jung, um ihm die Meinung zu geigen. Wenn ich den Arzt irgendwo mal treffen sollte, würde ich ihm mal ein paar Takte erzählen.
    Heute spricht Mama ordentlich Deutsch. Das klingt immer recht lustig, weil sie immer noch die Artikel »der, die, das« so schön verwechselt. In solchen Situationen schimpf ich im Spaß mit ihr: »Jetzt streng dich mal ein bisschen an, Mama!«
    Wir Kinder lernten sehr schnell. Nach einem Jahr in Deutschland konnte ich mich gut artikulieren. An der Sprache lag es sicher nicht, dass wir oft gehänselt wurden. Nicht nur in der Schule, auch wenn wir in Giesenkirchen auf dem Bolzplatz spielten, ärgerten uns stets ein paar Jungs. Die trugen
damals Glatze. Ich kannte die nicht und fragte mich nur, was die eigentlich für ein Problem mit uns hatten. Die fanden sich total cool, hingen immer am Spielplatz ab und rauchten. Wenn ich in ihre Nähe kam und meinen Ball dabei hatte, nahmen sie mir den regelmäßig weg. Die haben meinen Bruder Fatos, meine Cousine Mimi oder meinen Cousin Mentor und mich immer beschimpft: »Ihr gehört hier nicht hin. Spielt doch dort, wo ihr herkommt. Scheiß-Türken. Haut ab, wir wollen euch hier nicht mehr sehen.«
    Ob nun Albaner oder Türke – das war denen ziemlich egal. Ausländer jedenfalls wollten sie nicht akzeptieren. Wir waren am Anfang schockiert, haben uns aber nicht unterkriegen und verjagen lassen. Schließlich stand uns das gleiche Recht zu, dort zu spielen – wie allen anderen Kindern auch. Mentor hatte eine besondere Strategie entwickelt, um sich einen Platz zu erkämpfen. So sagte er gelegentlich zu den Störenfrieden: »Wenn ihr nicht wollt, dass wir hier spielen, müsst ihr uns erst beim Fußball schlagen. Wenn wir gewinnen, dürfen wir hier auch spielen.« Meist sind die Kahlköpfe darauf eingegangen. Ab und zu konnten wir gegen diese älteren Jungs auf dem Platz etwas ausrichten, ansonsten räumten wir in aussichtslosen Situationen wirklich das Feld.
    Einmal haben diese Halbstarken Fatos erwischt: Sie schlugen auf ihn ein, weil er auf ihre Sprüche mit einem frechen Satz geantwortet hatte. Es war furchtbar mit anzusehen, wie sie meinen Bruder verprügelten. Ich wollte daraufhin meine Mama holen, aber einer der Jungs hielt mich fest. Das werde ich denen nie verzeihen. Fatos und Flakron haben es ihnen übrigens später zurückgezahlt. Meine Brüder schossen kräftig in die Höhe. Fatos misst heute 1,94 Meter, Flakron sogar 1,96 Meter. Und damit waren meine Brüder viel größer als diese Kerle vom Spielplatz. Ab einem gewissen Zeitpunkt konnten sich beide wehren. Dann war Ruhe!
    Wenn ich in Mönchengladbach bin, laufen mir diese Jungs heute immer noch über den Weg. Die haben einen Heidenrespekt vor mir. Die können mir noch nicht mal in die Augen
schauen und gehen mit gesenktem Kopf an mir vorbei. Da kommt ganz viel Unsicherheit von der anderen Seite. Vielleicht auch, weil sie sich für ihr Verhalten von damals schämen. Jetzt tragen sie die Haare übrigens wieder länger …
    Mit 14 Jahren holte uns das Thema Rassismus in der Schule noch einmal ein.

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