Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
aber wir wollten sowieso irgendwann nach Mönchengladbach ziehen. Schließlich lebte ja auch unser Opa dort. Irgendwann durften wir dann aus dem Heim ausziehen.
Die Städte Remscheid und Mönchengladbach mussten unserem Umzug zustimmen, schließlich hatten wir nur begrenzte Aufenthaltsgenehmigungen. Von Papas Lohn finanzierten wir uns eine kleine Wohnung. Papa arbeitete immer sehr lange und sehr hart, er wollte keinen Anlass zur Beschwerde geben. Er wusste, wie wichtig dieser Job für unsere Familie war.
Meine Eltern litten damals unter Existenzängsten, denn das Geld war extrem knapp. Meine Eltern beschäftigte dieser Umstand enorm. Unser Opa griff uns ein bisschen unter die Arme, dennoch war nur das Nötigste zum Leben für uns drin. Wir konnten uns kein Auto leisten, die neue Wohnung war eher schäbig und extrem klein: Eine Stube, eine winzige Küche, ein Schlafzimmer für die Eltern und ein kleines Zimmer für uns drei Kinder. Flakron teilte sich mit mir eine Matratze, Fatos hatte eine für sich allein. So seltsam es klingen mag: Aber d iese mickrige, kleine Bude war für uns das Paradies. Endlich wieder ein Zuhause, vier Wände nur für uns fünf allein. Es war eine willkommene Abwechslung zum Asylantenheim mit seinen vielen fremden Menschen.
Auch in Mönchengladbach hatten wir weiter Angst, abgeschoben zu werden. Vor allem meine Mama verunsicherte d iese Ungewissheit, sie traute sich kaum raus aus der Wohnung. Sie wollte nichts falsch machen. Schließlich war bis dato nicht klar, ob wir in Deutschland überhaupt bleiben durften. Wir wollten keinesfalls negativ auffallen, Mama war da besonders vorsichtig und ängstlich.
Alle drei Monate verlängerte sich unsere Aufenthaltsgenehmigung. Jedes Mal, wenn wieder drei Monate hinter uns lagen, waren wir überzeugt davon, dass wir zum Flughafen gebracht und ausgeflogen würden. Zurück in den Kosovo. Zum Glück kam es nicht so weit. Am 19. August 1994 hatten wir eine Ladung vor das Verwaltungsgericht in Düsseldorf. Hilfe, waren meine Eltern davor aufgeregt. Was passiert mit uns? Dürfen wir bleiben? Die Nacht davor war blanker Horror. Unsere Zukunft stand auf dem Spiel, keiner von uns fünf konnte richtig schlafen, selbst der kleine Flakron spürte, dass etwas ganz Wichtiges bevorstand. Mama und Papa wurden dann noch einmal angehört und kamen mit einem guten Gefühl vom Vorladungstermin wieder. Diese Anhörung fand statt, damit entschieden werden würde, ob wir bleiben durften oder gehen müssten. Die endgültige Entscheidung aber gab es erst einen Monat später: Unser Asylantrag wurde anerkannt!
Für uns war das wie eine Befreiung. Das für unsere Familie so einschneidende Ereignis haben wir erst einmal kräftig gefeiert. Obwohl wir als Moslems nur sehr selten Alkohol trinken und angesichts unserer finanziellen Lage eigentlich kein Schampus drin war, kaufte Papa eine kleine Flasche Sekt. Am Abend haben wir die Flasche geköpft, ich durfte sogar ein bisschen am Glas meiner Mutter nippen.
Am 3. März 1995 hatten wir einen blauen Asylantenpass bekommen, der in der Regel alle fünf Jahre verlängert wird. Die Einbürgerung war jetzt eigentlich nur noch Formsache. Im Jahr 2001 erhielt jeder von uns in Mönchengladbach den deutschen Pass. Diesmal reichte es für die große Flasche Sekt. Dieses Dokument in den Händen zu halten, war ein g randioses Gefühl. Ich weiß noch genau, wie ich mit meinen Fingern pausenlos ganz sanft über das weinrote Teil strich, so kostbar erschien mir mein neuer Pass. Den Inhalt las ich gleich so oft, dass ich ihn noch am Abend auswendig konnte. Auch für meine Eltern war dieser Tag etwas ganz, ganz Besonderes. Wir Kinder wollten ja sowieso nicht mehr weg, hatten uns an die neue Heimat schnell gewöhnt. Mönchengladbach war unser Lebensmittelpunkt. Bei Papa und Mama blieb ein wenig Wehmut. Sie wollten den Kosovo früher nie verlassen, der Krieg in Ex-Jugoslawien und die Umstände vor Ort haben unsere Familie erst dazu gezwungen. Papa sagte damals mit dem neuen Pass in der Hand: »Wenn ich gewusst hätte, wie schwer das mit der Flucht und dem Danach wird, hätten ich es wohl nie getan.« Heute ist er froh darüber, dass wir so viel Glück hatten. Mama und ich machen übrigens unsere Schutzengel dafür verantwortlich … Deutschland war für uns die beste Lösung. Wo hätten wir sonst hingehen sollen? Ein Zurück kam für uns nicht mehr infrage.
Papa wollte gerne wieder als Kfz-Mechaniker oder Karosseriebauer arbeiten, tat sich aber
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