Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
FIFA, unser DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger und Fußball-Ikone Franz Beckenbauer unter den Zuschauern. Bei der Nationalhymne hatte ich extrem feuchte Hände. Auch wir Ersatzspielerinnen standen wie unsere erste Elf auf dem Rasen Hand in Hand da.
Minuten später ertönte der Pfiff – und los ging es. Die quirligen Brasilianerinnen machten uns das Leben zu Beginn sehr schwer, dribbelten unsere Abwehr ein ums andere Mal aus. Allein im Torabschluss glänzten sie nicht. Auch weil unsere Keeperin Nadine Angerer wieder einmal einen überragenden Tag erwischt hatte. Sie musste bis dato beim kompletten Turnier noch kein einziges Mal hinter sich greifen, niemandem gelang ein Treffer gegen unsere »Natze«. Das sollte auch so bleiben …
Beim 1: 0 von Birgit Prinz in der 52. Minute schrien wir, sprangen auf, fielen uns in die Arme – das war der schiere Wahnsinn. Ich war richtig heiser vom Brüllen. Wir schwenkten kurz die deutsche Fahne. Dann konzentrierten wir uns wieder voll auf das Spiel. Noch war es nicht gewonnen, noch konnte alles Mögliche passieren. Sämtliche Fußballweisheiten gehen einem da durch den Kopf: Von »der Ball ist rund« bis »ein Spiel dauert 90 Minuten« war da alles dabei.
In der 64. Minute pfiff die australische Schiedsrichterin Tammy Ogston einen berechtigten Elfmeter für Brasilien. Frauenfußballsuperstar Marta trat an. Wir Ersatzspielerinnen und der Trainerstab sind alle aufgestanden und bis zur weißen Linie gerannt, dort, wo die Coaching-Zone endet. Das ist der Bereich, den der Coach und der Rest von uns Bankdrückern nicht verlassen dürfen. Ich habe in diesem Moment gebetet. Ich habe gebetet, dass dieser Ball von Marta bitte nicht reingehen möge. Und tatsächlich hielt Nadine Angerer das Ding eiskalt. Wahnsinn! Wieder schrien wir wie die Geisteskranken
von der Außenlinie rein, feuerten unsere Mitspielerinnen auf dem Feld heftig an. Meine Stimmbänder waren zu diesem Zeitpunkt schon fast im Eimer.
In der 70. Minute sagte Co-Trainerin Ulrike Ballweg zu mir: »Lira, lauf dich warm.« Ich hatte damit nie und nimmer gerechnet. Drei, vier Ersatzspielerinnen traben immer hinter dem Tor und dehnen sich, ich gehörte beim Endspiel dazu.
Irgendwann las ich meinen Namen von Ulrike Ballwegs Lippen ab. Im Stadion war es so laut, ich konnte nichts hören. Als ich zum Einwechseln gewunken wurde, dachte ich in dem Moment nur, mich erdrückt das alles. »Nein, nein, ich will nicht«, hämmerte es in meinem Kopf. Ich war kurzzeitig überfordert. Ich bin trotzdem gegangen und wurde für die letzten zehn Minuten für Sandra Smisek eingewechselt. Sekunden später war die Angst verflogen.
Bei meiner ersten Aktion holte ich direkt eine Ecke raus. Renate Lingor übernahm bei uns stets die Standardsituationen. Sie schoss von links und Simone Laudehr gelang der entscheidende Kopfball zum 2: 0 in der 86. Minute. Unfassbar! Das war er, der WM-Titel! Ich war mir sicher, auch wenn die restlichen Minuten bis zum Schlusspfiff gar nicht mehr vergehen wollten. Sie zogen sich wie zäher Kaugummi.
Doch irgendwann war tatsächlich Schluss – und dann gab es kein Halten mehr. Ich glaube, meine Stimmbänder existierten zu diesem Zeitpunkt kaum noch, jedenfalls vernahm ich aus meinem eigenen Mund nur ein Krächzen. Wir lagen uns alle in den Armen, tanzten, weinten, waren einfach nur fassungslos. Das checkst du ja im ersten Moment überhaupt nicht, was da gerade passiert. So richtig begreift man es erst Tage später, dass man Weltmeister ist. An diesem Abend bekamen zunächst erst die geschlagenen Brasilianerinnen ihre Silbermedaillen. Mit hängenden Köpfen nahmen sie diese von FIFA-Präsident Sepp Blatter entgegen. Die Südamerikanerinnen waren wirklich ein starker, ebenbürtiger Gegner. Wir hatten letztlich das Glück und Torfrau Nadine Angerer auf unserer Seite.
Dann waren wir dran. Nach den goldenen Medaillen folgte die Pokalübergabe bei Feuerwerk und extremer Geräuschkulisse. Unsere Spielführerin Birgit Prinz durfte ihn als Erste in die Höhe halten, dann übernahmen andere. Mit Sandra Smisek und Anja Mittag tanzte ich noch ewig nach der Siegerehrung auf dem Podest herum. »Oh, wie ist das schön, oh, wie ist das schön«, versuchte ich meinen arg ramponierten Stimmbändern noch zu entlocken. Es hörte sich zumindest so ähnlich an. Es war der helle Wahnsinn, ein unglaublicher Moment, geschaffen für die Ewigkeit! Wenn ich heute einen schlechten Tag habe, erinnere ich mich gerne an diese Szenen – danach
Weitere Kostenlose Bücher