Mein ungezähmtes Herz
du?«
Sangays Augen leuchteten auf und zeigten endlich eine Spur jener Lebensfreude, die jeder Junge ausstrahlen sollte.
»Oh ja, Sahib. Ein großartiger Plan. Dieser Mann – der böse Sahib – sollte tot sein.«
»Gut. Dann wäre das schon mal geklärt.« Del sah kurz zu Deliah hinüber und wieder auf Sangay hinunter.
»Jetzt müssen wir aber nach unten gehen und mit dem Herzog, seinen Vettern und den anderen reden, dann arbeiten wir alle zusammen einen guten Plan aus.«
Das entlockte Sangay schließlich ein Lächeln.
»Sehr schön.« Deliah wechselte einen Blick mit Del.
»Ich denke, es wird Zeit, den anderen zu sagen, dass sie mit dem Suchen aufhören können.«
Alle versammelten sich wieder in der Bibliothek, auch Sligo und Cobby.
»Es könnte hilfreich sein, den Rest unserer Leute dazuzuholen«, sagte Deliah zu Del.
»Die Mädchen natürlich nicht, aber die anderen. Sie sollten wissen, was los ist.«
Del nickte und sah Cobby an.
Sein ehemaliger Bursche salutierte.
»Ich hole sie.«
Während die Gesellschaft sich wieder auf die Sofas, Sessel und Lehnstühle verteilte, brachten die Hausdiener rasch das Feuer wieder zum Lodern, und die Mägde zogen eilig die Vorhänge vor. Dann erschien Mrs. Hull, gefolgt von einem Rollwagen, der mit Teetassen, Tellern und Platten voller Plätzchen und Kuchen beladen war – und einem Glas Milch für Sangay. Der Junge, der auf einem Lehnstuhl neben Devils Schreibtisch hockte, nahm es dankbar an.
Die anderen ließen sich von Honoria den Tee reichen und wählten ein Stück Gebäck.
Von ihrem Platz aus konnte Deliah sehen, dass Sangays Füße nicht einmal bis zum Boden reichten und dass er mit fest zusammengepressten Beinen und eingezogenem Kopf dasaß, als ob seine Knie sonst geschlottert hätten und er sich am liebsten unsichtbar gemacht hätte. Nach kurzem Zögern beugte sie sich vor, nahm eins von den Marmeladenplätzchen, für die Mrs. Hull zu Recht berühmt war, und ging zu Sangay hinüber, um es ihm zu geben.
Überrascht sah er zu ihr auf, nahm es ihr dann aber mit einem gemurmelten Dankeschön ab.
Noch ehe Deliah wieder Platz genommen hatte, war es bis
auf den letzten Krümel vertilgt. Deliah vermutete, dass der Junge den ganzen Tag nichts gegessen hatte.
Kurz darauf brachte Cobby ihre Leute herein. Matara und Amaya blieben jeweils kurz bei Sangay stehen. Deliah spitzte die Ohren und hörte, wie sie ihm sagten, er solle ein guter Junge sein und die Fragen des Sahibs direkt beantworten – womit sie ehrlich meinten –, dann würde alles gut werden.
Wie Deliah vermutet hatte, war die Gegenwart der anderen Diener tröstlich für den Jungen. Dennoch … er wirkte sehr einsam auf seinem Stuhl neben dem Schreibtisch.
Spontan stand Deliah auf, stellte ihre Teetasse ab und ging zu einem Lehnstuhl, der an der Wand stand. Als sie versuchte, ihn hochzuheben, bot Vane seine Hilfe an, und sie bat ihn, den Stuhl neben Sangays zu stellen.
Als Vane das getan hatte, dankte sie ihm mit einem Lächeln, nahm Platz und tätschelte die schmale Hand des Jungen.
»Du brauchst nur das zu tun, was Matara und Amaya dir geraten haben. Beantworte einfach die Fragen, und alles kommt wieder ins Lot.«
Sangay schaute ihr in die Augen und nickte dann.
In dem Augenblick bat Devil die Gesellschaft um Ruhe.
»Da wir den vermissten jungen Mann nun gefunden haben, wollen wir hören, was er zu sagen hat.« Er lächelte Sangay freundlich an, doch der Junge traute dem Lächeln starker Männer nicht mehr, und man konnte es ihm nicht verdenken. Deliah spürte, dass Sangay immer nervöser wurde.
Doch dann kam Del um den Schreibtisch herum, lehnte sich lässig an die Vorderkante und lächelte den Jungen ebenfalls an.
Sangay erwiderte seinen Blick, ohne zurückzulächeln, doch seine Anspannung ließ ein wenig nach.
»Sangay, wir müssen diesen Leuten erzählen, woher du kommst und was du über den bösen Sahib weißt, der dich dazu zwingen wollte, die Briefrolle zu stehlen.« Del hielt kurz inne und fragte dann:
»Übrigens, wo ist sie eigentlich?«
»In einem Fass in dem großen Vorratsraum in der Nähe der Hintertür, Sahib. In dem, das ganz hinten steht.« Sangay wollte sich von seinem Stuhl herunterschieben, doch Del bedeutete ihm sitzenzubleiben, dann sah er Sligo und Cobby an.
»Er meint die Speisekammer«, sagte Sligo.
»Ich hole die Rolle.« Cobby war schon unterwegs.
Del drehte sich wieder zu Sangay um.
»Unterdessen …«
Mit einer Reihe einfacher Fragen entlockte der
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