Mein ungezähmtes Herz
Kutsche zeigte. Daraufhin nickte der Junge eifrig, kletterte flink wie ein Äffchen hinauf und machte es sich zwischen den dort festgezurrten Bündeln und Taschen bequem.
Deliah runzelte die Stirn, bückte sich und stieg ein. Während sie es sich bequem machte, kam sie zu dem Schluss, dass sie den Jungen beneidete. Er konnte während der Fahrt viel von London sehen, und das ganze Gepäck um ihn herum gewährte ihm genügend Schutz vor den Elementen.
Der Tag war windstill, aber sehr kalt mit tief hängenden grauen Wolken, und es roch nach Schnee. Aber noch war es nicht so weit. Sobald sie offenes Gelände erreichten, konnten
sie besser einschätzen, wie das Wetter sich entwickeln würde.
Del war auf dem Bürgersteig stehengeblieben, um noch ein paar Worte mit dem Empfangschef zu wechseln. Deliah ordnete ihre Röcke und ließ sich in die weichen Lederpolster sinken. Ihre beiden Haushalte waren mittlerweile gut eingespielt. Die Frauen hatten sich zusammengetan und die zweite, etwas größere Kutsche in Beschlag genommen, sodass sie unterwegs miteinander schwatzen konnten. Die Männer hatten mit der dritten Kutsche vorliebnehmen müssen; wo die Reise nach Norden zweifellos ruhiger verlaufen würde.
Die Türöffnung verdunkelte sich, als Del zustieg. Nachdem er neben Deliah Platz genommen hatte, tippte der Empfangschef sich breit lächelnd an den Hut und klappte den Schlag zu.
Der Wagen neigte sich leicht zur Seite, denn Cobby kletterte auf den Kutschbock und setzte sich neben den Kutscher, dann knallte eine Peitsche, die Pferde legten sich ins Geschirr, die Kutsche setzte sich ruckartig in Bewegung, und sie waren fort, rollten langsam über die Straßen Richtung Cambridgeshire.
Deliah warf einen Blick auf Del. Er schaute aus dem Fenster und betrachtete das vorbeiziehende Panorama. Ihre Gedanken kehrten zu dem Jungen zurück. Sie fragte sich, wie er in Dels Haushalt gekommen war; sicher gab es eine Geschichte dazu. Sie war versucht, danach zu fragen, aber … Dels Nähe erinnerte sie an andere Dinge. Dinge, über die sie wirklich einmal in Ruhe nachdenken sollte.
Was sie nun tat. Sie ließ die Beobachtungen und Fragen,
die sie in den letzten Tagen beiseitegeschoben hatte, weil so viel auf sie eingestürmt war, endlich an sich heran.
Beschäftigte sich mit Del und dem, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, dem augenblicklichen Verhältnis – und wie man es am besten bezeichnete … vielleicht als Liaison.
Doch die wichtigste Frage, die sie sich stellte, lautete: Wie lange würde diese Liaison dauern?
Während ihr Konvoi geräuschvoll durch die Londoner Straßen rumpelte, herrschte in der Kutsche eine angenehme Stille; ein scharfer Kontrast zur lauten Hetze draußen, dem geschäftigen Treiben jeder großen Stadt. Und London war die größte von allen. Die Hauptstadt hatte sich weit ausgedehnt, seit sie das letzte Mal da gewesen war.
Sie hatten beschlossen, nicht die Great North Road, den direkten Weg nach Cambridgeshire, zu nehmen. Dort waren ständig Fuhrwerke – Kutschen und Karren, Wagen und Reiter – unterwegs, also war die Schwarze Kobra auf dieser Route nicht zu einem Angriff zu animieren. Stattdessen hatten sie sich für die kleinere Straße durch Royston entschieden. Bis zum Mittag wollten sie die kleine Stadt vor den Toren Londons erreicht haben.
Erst nach dem Essen, wenn sie wieder aufgebrochen waren und über eine weniger frequentierte Strecke nach Godmanchester und von da über eine Reihe immer ruhigerer Landstraßen nach Somersham fuhren, konnten sie damit rechnen, dass ihr Gegner die Einladung annahm und einen Überfall inszenierte.
Der Ausblick, den das Kutschenfenster bot, wurde immer ländlicher. Deliah regte sich und sah zu Del hinüber.
»Dieses Haus – Somersham Place. Warum seid ihr Männer
so sicher, dass es keine Angriffe mehr geben wird, nachdem wir dort angekommen sind?«
»Wenn du es siehst, wirst du uns verstehen«, sagte Del lächelnd, offenbar in Erinnerungen versunken.
»Es handelt sich um einen wichtigen Herzogssitz, und es ist riesig – eine Festung. Man könnte mühelos eine ganze Kompanie darin unterbringen.« Er begegnete ihrem Blick.
»Ich bin vor Jahren mal dort gewesen – während meiner Schulzeit. Ich wusste zwar, dass Häuser groß sein können, aber dieses war trotzdem eine Offenbarung.«
»Gehört es dem Herzog, den du aus … Eton kennst?«
Del nickte.
»Sylvester Cynster, so hieß er damals noch, von Geburt an nur als Devil bekannt. Und zwar aus gutem
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