Mein verräterisches Herz: Roman (German Edition)
gezeigt, wie man über dem fünften Loch zupft. (Zupfen bedeutet, die Leine auf und ab zu bewegen,
um einen hungrigen großen Fisch durch die Bewegung des kleinen Fisches anzulocken. Ich zupfte ganz langsam, aus Angst, meine arme kleine Elritze könnte womöglich seekrank werden.)
Und jetzt kommt der wirklich wundersame Teil: Ich hockte etwa eine Stunde mit wahrer Engelsgeduld mitten auf dem zugefrorenen See auf meinem Eimer, verdrückte einen perfekt zubereiteten Hotdog (ich weiß bis heute nicht, warum etwas besser schmeckt, wenn es unter freiem Himmel verspeist wird), als plötzlich etwas an meiner Angelschnur zupfte! Kein scharfes Zupfen, sondern ein kaum wahrnehmbares, das die Spitze meiner winzigen Angelrute einen Tick bewegte. Nun, ich sprang vor Begeisterung nicht auf, sondern saß da und starrte ehrfurchtsvoll in das dunkle Loch hinunter. Ein unsichtbares Lebewesen (hoffentlich eine Forelle oder ein Lachs in Großformat und kein Vetter des Ungeheuers von Loch Ness) zupfte abermals, und ich erwiderte mit seligem Lächeln die Geste. Es folgte ein subtiler Zupf-Wettbewerb, und ich kann nicht annähernd schildern, wie ich mich bei diesem Sparring-Kampf fühlte, den ich da mit etwas Unsichtbarem ausfocht, das sich nur zwanzig Zentimeter unter mir, aber dennoch eine ganze Welt von mir entfernt befand. Worte reichen nicht aus, um meine von Herzklopfen begleitete erwartungsvolle Freude und meine bis dahin noch nicht geweckte Lust am Kampf – und am Sieg – zu beschreiben.
Ich lernte, wie man die Leine einholt, ohne den Köder aus dem Maul des großen Fisches zu ziehen, nur um festzustellen, dass ich plötzlich mit einem erstaunten Aufschrei zurückwich, als ein gewaltiger Süßwasserlachs aus dem Loch schoss
und auf dem Eis wild um sich schlug. Mein begeisterter Angelpartner packte das Prachtexemplar, taxierte die Größe und erklärte stolz (als hätte er das schöne Tier höchstpersönlich gefangen), es hätte die richtige Größe.
Sofort bat ich flehentlich, er solle den Fisch wieder ins Wasser werfen.
Ich weiß nicht, wer verblüffter war, mein Zukünftiger oder der seinem Element entrissene Fisch; jedenfalls bückte sich dieser wunderbare Mensch und ließ den Fisch entwischen, der mit seiner Schwanzflosse glücklich Wasser aufspritzte, als er mit meinem Köder im Bauch wieder in den dunklen Tiefen des Wassers verschwand. (Ich bin nun seit fast dreißig Jahren begeisterte Eisanglerin und verspeiste mit Genuss viele herrliche Fische, aber bis heute kann es vorkommen, dass ich für meinen Fang die Freiheit erbitte. Deshalb packt mein Mann immer Hotdogs in unsere Kühltasche oder nimmt mich erst gar nicht mit, wenn er Lust auf gebackene Forelle hat.)
Jedenfalls habe ich mein erstes Erlebnis auf dem Eis noch immer als lehrreichen Tag in Erinnerung: Ich lernte Eisfischen, erfuhr, wie der Verstand meines künftigen Ehemannes arbeitet und wie es um meine eigene Denkweise bestellt ist. Wie heißt es doch gleich? Bevor du einen Menschen beurteilst, solltest du eine Meile in seinen Schuhen zurücklegen. Nun, ich brachte jenen Tag damit zu, das Angeln im Winter mit fremden Augen zu betrachten. Und ich lernte, dass Männer auf ihre Art ebenso spirituell, inspiriert und mitfühlend sind wie wir Frauen. Doch statt Anzug, Schlips und schicke Schuhe ziehen manche eben lieber lange Unterhosen, pelzgefütterte Bombermützen und warme Stiefel an, um in der
freien Natur, dem ultimativen Ort der Andacht, mit dem Universum in Kontakt zu treten.
Das war für mich eine wirkliche Offenbarung. Ich lernte, dass ein Mensch nicht verdreht ist, weil er mit Begeisterung jeden Tag, ob bei Regen oder Sonnenschein, bei Gewitter oder Schneesturm, Hitze oder Minusgraden, mit nicht mehr als einem sanft schaukelnden Boot oder einem Plastikeimer angeln geht. (Ich habe es nie offen eingestanden, doch als Robbie jenen Prachtfisch nur meinem weichen Herzen zuliebe freiließ, wusste ich, dass ich den Mann gefunden hatte, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Bitte verraten Sie mein kleines Geheimnis nicht, denn er glaubt bis heute, sein männlicher Charme wäre es gewesen, der mein Herz gewonnen hat.)
Wie aber kommt es, dass ein wundersamer Tag auf dem Eis fast dreißig Jahre später zu einem Roman wird, dessen Titel auf Englisch sinnigerweise The Seduction of his Wife (»Die Verführung seiner Frau«) lautet? Jede meiner Geschichten beginnt mit einer winzigen Einsicht meinerseits, die eine Fülle von Fragen nach sich zieht.
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