Mein Weg - Ein politisches Bekenntnis
hatte einen Haufen Fragen zur Zeitung und hatte ihn deshalb um ein Gespräch gebeten. Ich fuhr also in die prachtvolle neue Yukos-Geschäftsstelle auf der Dubininskaja-Straße. Der Eindruck, den er auf mich machte, war dem vom letzten Treffen genau entgegengesetzt: Ein trauriger Mann, der kein bisschen Optimismus ausstrahlte. Er sagte: ›Entschuldigen Sie, aber ich bin mit meinen Gedanken jetzt woanders. Ich hoffe, Sie verstehen das nicht falsch.‹ Er sagte, er wisse nicht, was in der nächsten Zukunft mit ihm passieren werde, und er sagte auch schon, dass es ihm sehr um das Unternehmen und die Chancen leid tue. Ein Satz hat sich mir besonders eingeprägt: Er sagte, es sei sehr schade, sie seien nur noch einen halben Schritt von einer Vereinbarung mit den Amerikanern entfernt, und die Verhandlungen mit Chevron Texaco seien sehr weit gediehen, sie hätten in der allernächsten Zeit ein Abkommen über eine Fusion schließen können. Und von da an wäre das eine ganz andere Sache gewesen – ein transnationales Unternehmen, dem die russische Staatsmacht rein gar nichts hätte anhaben können. ›Ich fürchte nur, wir schaffen es nicht mehr‹, sagte er, und: ›Mir geht es nicht um mich selbst, das ist nicht so schlimm, ich glaube an mein persönliches Potenzial und bin jederzeit bereit, in Russland wieder von vorn anzufangen. Wenn sie mir die Firma wegnehmen, fange ich von vorn an, da können Sie sicher sein, und in ein paar Jahren bin ich wieder auf demselben Niveau. In Russland gibt es immer noch genügend Branchen, deren Möglichkeiten überhaupt nicht ausgeschöpft sind. Aber um das Land tut es mir leid.‹ Da wurde mir klar, dass die Dinge offenbar wirklich schlecht standen. Das war unser letztes Treffen, Mitte Oktober 2003.«
Am 3. Oktober 2003 begab sich Chodorkowski in das Moskauer Hotel Marriott, wo das Weltwirtschaftsforum tagte. Im Saal wurde ihm ein Zettel zugesteckt. Chodorkowski las die Mitteilung, telefonierte kurz und verließ den Raum, in dem nur wenige Minuten später Putin erschien, der beschlossen hatte, ebenfalls an der Veranstaltung teilzunehmen. Genau an diesem Tag und zu dieser Stunde begannen die Durchsuchungen im Lyzeum in Korallowo, wo zu dieser Zeit gerade der Unterricht lief und wo Chodorkowskis Eltern sich aufhielten, in den Geschäftsräumen von Yukos in Jablonewy Sad sowie in einigen Büros und Häusern von Gesellschaftern. Das war es, was Chodorkowski auf dem Zettel gelesen hatte.
Der Kommersant titelte am nächsten Tag: »Waisenjagd. Generalstaatsanwaltschaft befreit Lyzeum von gefährlichen Computern.« Übrigens ist das ein charakteristisches Detail aller Durchsuchungen im »Fall Yukos«: Beschlagnahmt wurden Server und Computer, alte und neue, ohne Einschränkungen. Offenbar, weil es bei Yukos praktisch keine Dokumentation mehr auf Papier gab, das Unternehmen hatte nämlich, als eines der ersten im Land, schon lange seinen gesamten Schriftverkehr digitalisiert.
Wassili Schachnowski: »Mischa rief mich an und sagte: Fahr nach Shukowka, dort läuft eine Durchsuchung, es muss einer von den Männern dabei sein. Brudno war damals schon ausgereist, Newslin auch, und Platon war in Haft. Und Mischa war bei der Konferenz, zu der auch Putin kommen sollte. Später habe ich gehört, Putin habe nicht sprechen wollen, solange Chodorkowski im Saal war. Ich fuhr also los. In Jablonewy Sad liefen jede Menge Ermittler herum, plus rund 120 Mann Unterstützung von der Polizei. Wir hatten dort, wenn du dich erinnerst, zwei Gelände: die Geschäftsräume, und die Siedlung, wo wir wohnten. Den Zaun dazwischen hatten wir abgerissen. Ihr Durchsuchungsbeschluss galt nur für die Siedlung. Und nun hatten sie entlang dieser imaginären Linie, die den einen Bereich vom anderen abtrennte, Bullen aufgestellt. Ich weiß noch, es war sehr warm. Jedenfalls hatten sie gegen zehn Uhr angefangen, und gegen drei waren sie fertig. Alle sollten wieder in ihre Busse steigen. Zwei, glaube ich, waren aber nicht auffindbar. Zwei Bullen waren einfach weg. Erst waren sie da und jetzt waren sie weg.
Auf dem Geschäftsgelände hatten wir ein separates Badehaus stehen. Und in diesem Badehaus gab es eine Bar. Nachdem die Absperrung aufgehoben worden war, kamen die Putzfrauen, um aufzuräumen. Eine von ihnen geht nun in dieses Badehaus und entdeckt dort zwei leblose Körper. In der Gewissheit, dass das Leichen sind, kommt sie mit entsetzlichem Gebrüll herausgerannt. Die Bullen sehen also nach und finden ihre stockbesoffenen
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