Mein wildes Herz
gefühlvollen Töne der Musikmaschine zu ihm hinüber, die immer dann spielte, wenn die fahrende Truppe in einem Dorf einzog. Die Sonne war herausgekommen, doch sie wärmte ihn nur wenig, da man seinen Käfig an einem schattigen Platz abgestellt hatte. Ein eisiger Wind fuhr darüber und verursachte ihm eine Gänsehaut. Das einzige Kleidungsstück, das er am Leib trug, war ein getüpfeltes Fell, gerade groß genug, um seine Scham zu bedecken.
Gedankenverloren zupfte er einen Strohhalm aus dem feuchten Mist, der den Käfigboden bedeckte. Er hatte die Welt jenseits seiner Heimat sehen wollen. Und er hatte seltsame Dinge in diesem fremden Land entdeckt: Tiere, die keinem Tier ähnlich sahen, das ihm je zu Augen gekommen war; Häuser, die größer waren als sein ganzes Heimatdorf. Es gab Menschen verschiedener Hautfarben, Menschen verschiedenster Gestalten und Größen. Hätte man ihn nicht in diesen Käfig gesperrt, er wäre von all den Sehenswürdigkeiten und all den Orten dieser neuen, fremden Welt fasziniert gewesen. Doch so blieb er ein Gefangener, eingesperrt und gehalten wie ein Tier.
Seit er verkauft worden war, war er verlacht und verhöhnt, mit Steinen beworfen und geschlagen worden. Die Leute glaubten, er wäre verrückt, und an manchen Tagen glaubte er es selbst. Schlimmer noch waren aber diejenigen, die Mitleid mit ihm hatten. Er hatte Frauen gesehen, die wegen der Gräuel, die man ihm antat, in Tränen ausgebrochen waren. Leif jedoch wollte ihr Mitleid nicht. Aber vielleicht waren nicht alle Menschen in diesem Land wie jene, die ihm seine Freiheit gestohlen hatten. Vielleicht würde er eines Tages jemanden finden, der bereit war, ihm zu helfen. Wenn er sich den Leuten doch nur verständlich machen könnte.
Wie jeden Tag sprach er ein stilles Gebet zu den Göttern und bat sie, ihm beizustehen.
Vielleicht würden sie ihm ja eines Tages helfen. Vielleicht schon heute.
Er klammerte sich an diesen Gedanken, während die Menge sich langsam um seinen Käfig versammelte.
Der Himmel war klar in dieser Nacht, und der Vollmond erhellte Londons Straßen. In die Samtpolster der Kutsche gelehnt, lauschte Krista dem Klappern der eisenbeschlagenen Pferdehufe und war dankbar, dass der Abend endlich zu Ende ging.
„Lieber Gott, wie ich diese Gesellschaften hasse.“ Seit dem Streit mit ihrem Großvater in der Bibliothek des Duke of Mansfield war Krista pflichtbewusst auf jeder Soiree und jeder Party erschienen, zu der man sie einlud. Im Augenblick kehrte sie von einer musikalischen Soiree bei der Marquess of Camden zurück.
Sie musste an Matthew Carlton denken. Ihre Bemühungen schienen Erfolg zu haben.
Ein verträumter Seufzer erhob sich in der Kutsche. „Ich finde, diese Party war wundervoll.“ Auf dem Platz neben Krista kuschelte sich Coralee Whitmore in die tiefen Samtpolster, ihre beste Freundin seit der gemeinsamen Zeit auf der Briarhill Academy. „Wenn wir morgen nicht so viel zu tun hätten, dann hätte ich bis zum Morgengrauen durchgetanzt.“
Im Gegensatz zu Krista, die sehr groß und blond war, war Coralee zierlich, mit Haaren von der Farbe dunklen Kupfers, grünen Augen und einem schmalen, feinen Gesicht. Sie liebte Bälle und Gesellschaften und schien ihrer nie müde zu werden. Doch die Wochenzeitung, die Krista und ihr Vater herausgaben, kam für die beiden jungen Frauen an erster Stelle, auch wenn es bedeutete, dass sie einen der beliebtesten Bälle bereits kurz nach Mitternacht verlassen mussten.
Obwohl es viel länger zurückzuliegen schien, hatte Kristas Mutter doch erst vor sechs Jahren die Zeitung gegründet, gegen den Willen ihrer Familie und gegen die ungeschriebenen Gesetze, welche den Platz einer Frau in der Gesellschaft bestimmten. Drei Jahre später war sie krank geworden und gestorben. Ihr langes, qualvolles Siechtum hatte Krista erschüttert und traurig zurückgelassen. Ihr Vater hatte unter dem Verlust noch mehr gelitten.
Genau an dem Tag, an dem sie auf dem Friedhof neben ihrem leise weinenden Vater am Grab ihrer Mutter stand, war Krista achtzehn Jahre alt geworden. Und da sie wusste, wie wichtig ihrer Mutter die Gazette gewesen war, hatte sie beschlossen, die Zeitung weiterzuführen. Bald merkte sie, dass die Arbeit ihr half, den Schmerz zu überwinden, und sie war entschlossen, Heart to Heart zum Erfolg zu führen.
Vom Sitz gegenüber war ein Geräusch zu hören, und Krista musste beim leisen Schnarchen ihres Vaters lächeln. Sir Paxton Hart war emeritierter Professor für
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