Mein wirst du bleiben /
ist? Keine Lust auf Abkühlung?«
»Darum geht es nicht.« Er war zu barsch. Sie konnte ja nicht ahnen, dass er nach zwanzig Jahren zum ersten Mal an diesen See kam. Den See, in dem Peter gestorben war. Der hier um die Ecke lag.
»Jetzt sag nicht, dass du Angst vor Frauen im Bikini hast.« Sie lachte, beschleunigte, der Motor röhrte. Gleich darauf bog sie in einen schmalen Teerweg ab und parkte nach einigen hundert Metern zwischen anderen Autos. »Hier müsste es sein. Rimsinger Baggersee. Vierunddreißig Hektar groß. Hundertfünfundneunzig Meter über dem Meeresspiegel. Luftlinie bis Freiburg Stadtmitte fünfzehn Kilometer. Ausgezeichnete Wasserqualität.«
Ehrlinspiel sah sie an. Ihr offenes Lachen, ihre dunklen Augen, die sogar im Licht der aufziehenden Wolken noch strahlten. »Lass uns woanders hinfahren.«
»Ich möchte ins Wasser springen. Nur zehn Minuten. Okay?« Sie zerrte ihre Tasche zwischen seinen Beinen hervor. »Danach können wir –«
Er ergriff ihren Arm. »Nein.« Sein Gesicht war heiß, und er wusste nicht, ob die Schwüle, die sich wie ein feuchtes Tuch über das Gelände senkte, das Wasser aus seinen Poren trieb oder die Angst vor dem, was er hier finden würde.
»Was ist los?«
Mit einem Mal schämte er sich. »Ich bin … nicht gut drauf heute.« Er ließ sie los.
»Das hat aber ganz anders geklungen, als ich dich abgeholt habe.« Ihre Augen suchten seine. »Was hast du plötzlich?«
»Es ist … Ach, die Ermittlungen.«
Sie zog die Tasche zu sich, lächelte, und er wusste genau, dass sie ihm kein Wort glaubte.
Aber er wusste auch, dass sie nichts dazu sagen, er nie sein Gesicht vor ihr verlieren würde.
»Ihr steckt fest. Immer noch.«
»Sag mir, wer einen Vorteil davon haben könnte, zwei alte, mittellose Menschen zu töten. Außer einer verrückten Tochter.« Sag mir, wie ich diesen Trampelpfad zum See gehen soll, ohne bei jedem Schritt über Erinnerungen und Schuld zu stolpern.
»Eine verrückte Mutter. Jemand, dem Geld egal ist.« Sie ließ das Verdeck und die Fenster hochfahren und stieg aus. Die Wolkentürme hatten sich zu einer beinahe geschlossenen Wolkendecke zusammengezogen.
»So weit sind wir auch schon«, brummte er.
»Die Toten haben ein Geheimnis geteilt. Sie haben gemeinsam ein Verbrechen begangen. Eine Bank ausgeraubt – um sich endlich auch etwas leisten zu können. Einen Erbonkel vergiftet. Einen Lottogewinner in der Dreisam ertränkt, eine –«
»Du machst dich über mich lustig.«
»Nein.« Sie sah ihn über das Verdeck hinweg an. »Ich phantasiere nur ein wenig. Das lockert den Knoten im Gehirn.« Sie schloss den Wagen ab und stapfte los. »Das solltest du auch einmal versuchen.«
Ehrlinspiel seufzte. Er roch das Harz der Tannen, auf die Hanna zusteuerte, die Tasche über die Schulter geworfen. Er roch den Kalk, der mit der leichten Brise von dem ehemaligen Kieswerk herüberwehte, hörte das aufgeregte Gezwitscher der Spatzen und Krähen, die um die Mülltonnen herumhüpften und nach Picknickresten der Badegäste suchten. Die Mülleimer waren neu – im Gegensatz zu seinen Gedanken, die wie Raubvögel kreisten und darauf warteten, dass er seine Angst preisgab und sie sie zerfleischen konnten.
Lauf weg, feiger Moritz,
schienen sie laut zu rufen.
Wir folgen dir, wohin du auch gehst.
Er starrte eine Krähe an, die vor ihm herumhopste, provokant, die Augen wie glänzende, schwarze Perlen.
Da ging er los.
Auch der Weg hatte sich verändert. Dicke Wurzeln schoben sich aus der aufgeworfenen Erde. Als er durch Baumstämme und Gestrüpp die blaue Oberfläche schimmern sah, hielt er inne. Am Ufer stand Hanna und winkte ihm zu.
Ein kurzer, heftiger Windstoß fuhr durch die Bäume.
Ehrlinspiel lief zu Hanna, in der Nähe lagen noch ein paar Leute in Badekleidung auf Decken. Der See breitete sich glitzernd vor ihnen aus, Türkis, tiefes Blau und Grün brachen sich in Millionen klitzekleiner Wellen, die der Wind sanft über die Oberfläche trieb.
»Alles okay?« Hanna legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Klar.« Es war wie damals. Das Licht, der Geruch nach Algen. Eine Frau an seiner Seite, der er gleichzeitig nahe war und doch ein ganzes Leben entfernt. Hanna sagte etwas, aber der Wortlaut drang nicht bis in sein Bewusstsein. Er sah über das Wasser, auf die Wiese gegenüber. Peter liegt im Gras. Er röchelt. Moritz kniet neben ihm, presst die Hände auf Peters Brust. Er drückt, massiert, drückt. Christine schreit.
Jemand rempelte ihn an.
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