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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Hände ab, während sein Blick über ihre Gestalt glitt und das Grollen näher kam. Das Spiel ihrer Wirbel war verführerisch. Jeder einzelne zeichnete sich durch den Stoff ab. Vierunddreißig Meisterwerke. Sieben Halswirbel. Zwölf Brustwirbel. Fünf Lendenwirbel. Das Os sacrum mit fünf verschmolzenen Wirbeln. Die Rudimente des Steißbeins.
    Ihr Skelett war wie aus dem Lehrbuch. Genauso wie ihre Psyche. Beides lag offen vor ihm. Seit Samstagnacht, seit dem Exitus der Alten, als er bei dem Zelt der Kriminaltechniker gestanden und eingestimmt hatte in das Entsetzen des naiven Volkes. Seit er vor sich gesehen hatte, wie der Schuh die morschen Knochen im Gesicht gebrochen haben musste. Das Risiko, enttarnt zu werden, hatte er exakt kalkuliert – es lag bei null. Er hatte sich nicht getäuscht. War ganz Herr seiner Handlungen.
    Miriam ging aus der Küche, kam mit einem Eimer frischen Wassers zurück und kniete sich in eine Ecke. Ihr Kittel rutschte ein wenig von der Schulter und gab den Blick auf das Schlüsselbein frei. Diese sanfte Mulde. Dieses Becken, in dem sich das Blut so schön sammelte, wenn der Schnitt richtig gesetzt wurde.
    Er sollte ins Wohnzimmer gehen. Sich im Bad kaltes Wasser ins Gesicht spritzen. Abstand suchen. Raus hier. Eine rauchen. »Ich mache mir einen Espresso. Darf ich Ihnen auch einen anbieten, Frau Roth?« Er klang charmant. Das war eine seiner Stärken.
    Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf, flüsterte: »Danke, nein.«
    Dass er sie gefunden hatte, verdankte er seiner Logik und Konsequenz. Gesucht hatte er sie nicht. Aber sofort erkannt. Für sie allerdings war er ein Fremder. Doch in ihrem Begehren waren sie eins. Er war sicher, dass sie das wusste. Miriam aber war so klug, die Karten nicht offen auf den Tisch zu legen. Er hatte alles diagnostiziert. Den Herd des Übels gefunden. Und den würde er vollends herausschneiden. Sezieren war seine Spezialität.
    Er nahm eine kleine, quadratisch geformte Tasse aus einem Schrank, stellte sie unter den verchromten Kaffeeautomaten und drückte den Startknopf. Die Maschine fauchte, und während der Espresso brodelnd in die Tasse lief, füllte er ein Glas mit Wasser und hielt es Miriam hin. »Sie verlieren Flüssigkeit beim Arbeiten. Trinken Sie, bitte!«
    Die Heilige, die Hure, arbeitete stumm weiter. Tauchte den Lappen in den Eimer, wrang ihn aus, die Gummihandschuhe quietschten leise, und mit einem Klatschen landete der Lumpen wieder auf dem Boden.
    Schau mich an!
Nimm das Glas. Lege deine Lippen an den kühlen Rand. Knie nicht vor mir, steh auf! Heb deinen Kopf.
    Draußen zuckte ein Blitz über die Dächer und tauchte die Küche und Miriam in ein kühles, blaues Licht, heller als die künstliche Beleuchtung. Sekunden später krachte es draußen.
    Er trat zu ihr, roch die Seife. Seine Hände wurden feucht. »Bitte, Frau Roth, mir zuliebe.«
    Er strahlte sie an und schob das Glas neben die Spüle, unter der sie einen der Edelstahlgriffe polierte. »Ihr Körper braucht das Wasser.«
    Auf Knien wich sie zurück.
    »Wie Sie meinen.«
    Er schlenderte um die Kochinsel herum, setzte sich auf einen Barhocker am Tresen, der den Ess- vom Arbeitsbereich trennte, und klopfte eine Zigarette aus einem Päckchen.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche? Zum Kaffee schmecken sie am besten.«
    Sie schüttelte den Kopf, und ihr Haar verfing sich im Griff einer Schublade. Mit einem Ruck versteifte sie sich, und ihre Augen bohrten sich in seine, nur einen Wimpernschlag lang, dann befreite sie sich, drehte sich weg und fuhr mit dem Lappen hastig über den nächsten Griff.
    Hast du Angst vor mir!, dachte er und ließ das silberne Feuerzeug klicken. Verzerrt spiegelten sich sein dunkles Haar und die markante Nase darin. Dabei will ich dich gar nicht beunruhigen. Nicht mit Absicht. Nicht so, wie ich es mit Gabriele getan habe. Diesem versoffenen Wrack.
    Wieder zuckten Blitze über den Häusern. Er drehte den Kopf. Blitzlinie und zickzackartige Fortsetzungen. Wie der Röntgenbefund eines Schädels nach einem Sturz, einem Unfall. Er inhalierte tief.
    Sein Winken zum Hochhaus hinauf hatte die fette Gabriele in Panik versetzt. Angstneurose. Klaustrophobie. Mangelndes Selbstbewusstsein. Sie war so leicht zu durchschauen. Dabei hätte sie es auch als Warnung verstehen können. Als Geste seines Wohlwollens: Pass auf dich auf. Auch du kannst stürzen. So viele Treppen, wie du jeden Tag gehst. Aber sie hatte nicht verstanden.
    Ein neuer Zug. Rauch in seiner Lunge. Schwüle im Raum.

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