Mein wirst du bleiben /
sagte sie mit erstickter Stimme.
Miriam Roth strich der Mutter über die Wange. »Die neue Frisur steht dir. Blond gibt dir so etwas Engelhaftes.«
Thea wusste, dass Miriam auf die Narbe an ihrem Hals sah. Auf die Schnitte über den Brüsten, die ihr Top jetzt freigab und die zu einer Marylin Monroe nicht mehr taugten. Zu einem Engel da oben schon eher. Ihr Blick fiel auf das Regal mit den Kochbüchern, den beiden Figuren darauf. Ja, das Leben konnte zuschlagen. Unvermittelt und mit seiner ganzen Brutalität.
»Lass uns schlafen gehen, es ist spät«, sagte Miriam. »Ich habe dein Bett frisch überzogen. Du hast wieder geschwitzt letzte Nacht.«
»Du bist ein Schatz, mein Kind! Aber du musst auch
dich
schonen. Du hast dich schon so viele Jahre für mich aufgeopfert.«
»Opfer sind Gnade. Gott lohnt mich reichlich dafür.«
Thea musterte das kräftige Grau in Miriams dunkelblonden Haaren. Zweiunddreißig Jahre war sie erst alt. Die letzten Jahre mussten sie an den Rand der Erschöpfung gebracht haben. Wahrscheinlich hatte der Glaube ihr die Kraft zum Durchhalten geschenkt. Thea schämte sich plötzlich zutiefst. »Ich könnte wieder arbeiten. Dann müsstest du nicht alles allein –«
»Auf keinen Fall, Mama!« Miriam trat zu ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah sie intensiv an. »Ein Schritt nach dem andern. Es ist noch viel zu früh. Und so lange bin
ich
dran.«
»Ich möchte aber –«
»Mama« – Miriam lachte plötzlich –, »du führst dich genauso trotzig auf wie ich mich früher, wenn du meinen Kassettenrekorder ausgeschaltet hast und mich an die frische Luft scheuchen wolltest.«
»Wenn du das sagst«, erwiderte Thea, und als sie zu Miriam aufblickte, erkannte sie in deren Augen eine Stärke, die sie unwillkürlich in das Lachen ihrer Tochter einfallen ließ. Zögerlich zwar und leise, aber es tat gut.
»Jetzt kriegen wir dich erst einmal wieder richtig auf die Beine.«
»Ich bin auf den Beinen«, sagte Thea lächelnd und ging in ihr Zimmer.
Es duftete nach den weißen Rosen, die Miriam in einen alten Krug gepflanzt und neben das Bett gestellt hatte. »Warum nehmen wir keine Schnittblumen?«, hatte Thea gefragt. »Sträuße bringen doch viel mehr Abwechslung.« – »Auch Blumen leben«, hatte Miriam geantwortet, »man darf sie nicht töten!« Thea lächelte. Manchmal wurde sie aus Miriam nicht klug. Sie schätzte das Leben jedes Wesens, sogar das der Pflanzen. Dagegen schien Martin Gärtners Tod sie kaum zu berühren.
Sie, Thea, war nicht die Einzige, die im Leben Verletzungen davongetragen hatte. Doch sie hatte einen Weg zurück ins Leben gefunden. Bei Miriam war sie sich da nicht so sicher.
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7
Freitag, 30. Juli, 20:30 Uhr
M ist«, sagte Moritz Ehrlinspiel und knallte seinen Schläger auf die Tischtennisplatte. Zum zweiten Mal an diesem Abend war sein Aufschlag über Paul Freitags Spielfeld hinausgeschossen, und damit hatte der ihn 10:6 und 12:10 geschlagen.
»Noch ein Gewinnsatz?«, fragte Freitag schmunzelnd und drehte den kleinen weißen Ball zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Der Mörder hat vier Tage Vorsprung, Freitag. Vier ganze Tage!«
Die Shorts und das Sporthemd klebten dem Kriminalhauptkommissar feucht auf der Haut. Er hatte gehofft, sich nach dem Befragen möglicher Zeugen, dem Wühlen in Gärtners Vergangenheit und der Abendbesprechung der Soko abreagieren und seinen Gedanken einen neuen Dreh geben zu können. Doch weder die Hitze des Tages noch sein innerliches Kochen hatten nachgelassen.
»Ich weiß.« Freitag ließ den Ball auf der Platte hüpfen.
»Es ist, als ob Gärtner gar nicht existiert hätte. Als wäre er durch sein Leben gelaufen, hätte dieselben Straßen benutzt wie seine Nachbarn, im selben Laden eingekauft, die gleichen Sachen gegessen. Und trotzdem scheint er unsichtbar geblieben zu sein. Verstehst du, was ich meine?«
Freitag nickte. »Einer, bei dem nichts über eine flüchtige Begrüßung hinausgegangen ist. So ein Typ, dem man im Vorbeigehen zuwinkt und den man im nächsten Moment vergessen hat.«
»Wenn der Hund sich nicht die Seele aus dem Leib gejault hätte, hätten wir in einigen Tagen Fäulnis und Madenbefall vorgefunden.«
»Die Zenker mit ihrer Neugier. Das war in dem Fall Glück. Sensationslust ist offenbar das Einzige, was dem Gärtner zugekommen ist. Niemand vermisst ihn. Keiner kann eine hilfreiche Aussage machen. Keinerlei nützliche Spuren.«
Ehrlinspiel klopfte mit der Kante seines Schlägers leicht auf
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