Mein wirst du bleiben /
Zweitens: Der Mann hat hinten und vorn gespart. Und er hat« – er machte eine bedeutungsvolle Pause – »nie etwas anderes gekauft als geschnittenes Graubrot, Kaffee, Würfelzucker und Tütenmilch, Butter, Salami, Leberwurstkonserven, Senf und ab und zu ein paar Dosen Bier. Und natürlich Dinge wie Spülmittel, Seife, Toilettenpapier und so. Er scheint sich nie etwas gekocht, sondern immer nur kalt gegessen zu haben. Sein Todestag sollte offenbar ein besonders schöner Tag werden.«
Ehrlinspiel schauderte. In der einen Wohnung klebrige Kuchenberge, in der andern dreimal täglich Wurstbrot. Das wäre nichts für ihn. Nicht weil er von einseitiger Ernährung zunehmen würde. Er war groß, durchtrainiert, setzte auch bei vielen Süßigkeiten nicht das kleinste Speckröllchen an und fühlte sich durchaus geschmeichelt, wenn die Blicke weiblicher Wesen ihm folgten. Ob Gärtners besonderer Tag mit einer Frau in Zusammenhang stand? Wer mochte den unscheinbaren Frührentner gerngehabt haben? Und wer verachtet? Sie mussten mehr über sein Wesen in Erfahrung bringen.
»Das Hundefutter, nebenbei bemerkt: An dem hat Gärtner nicht gespart«, sagte Lukas Felber. »Er muss sehr an dem Tier gehangen haben.« Lukas suchte Ehrlinspiels Blick. »Jagger geht’s übrigens gut. Aber kommen wir zum Schluss meines Berichts: Wir konnten Schuhprofile sichern. Einmal von den Sandalen des Toten. Und einen verschmierten Abdruck, der nicht näher zu identifizieren ist.« Er schob die Blätter in den Ordner zurück. »Das Opfer hat den Boden kurz vor seinem Tod frisch gewischt.«
»Danke, Lukas«, sagte Meike Jagusch. »Moritz?«
Ehrlinspiel faltete die Hände auf dem Tisch. »Freitag und ich sind mit den Kollegen von der Recherche die gesamte Biographie des Toten durchgegangen und haben uns mit dem Einwohnermeldeamt, der Rentenversicherung und dem Kreiswehrersatzamt kurzgeschlossen. Demnach ist Gärtner in Freiburg geboren und hat hier die Grund- und Realschule besucht. Bei der Bundeswehr hat er den Lkw-Führerschein gemacht. Während dieser Zeit sind seine Eltern gestorben. Nach der Wehrzeit hat er bei verschiedenen Firmen als Fahrer gearbeitet.
Kopper Garagentore, Baustoffhandel Vogler
und bei einem Kurierdienst. Zuletzt war er bei einer kleinen Umzugsfirma angestellt,
Die Umsiedler.
1988 ist er in die jetzige, also seine letzte Wohnung gezogen. Keine Geschwister, nie verheiratet. Keine Zugehörigkeit zu irgendwelchen Vereinen oder politischen Gruppen.« Ehrlinspiel nahm sich eine Wasserflasche vom Tisch und trank. Die Schokoladenkekse der letzten Tage waren verschwunden. Er griff nach einem Apfel. »Bis 1997 lassen sich noch feste Jobs nachverfolgen. Aber da kann sicher Judith noch etwas dazu sagen.« Ehrlinspiel nickte zu der Wirtschaftskriminalistin, berichtete abschließend vom Besuch bei der Hausmeisterin und der ergebnislosen Befragung der anderen Hausbewohner und übergab dann das Wort an Judith Maiwald.
Mit langen, schmalen Fingern strich sie über einige Blätter Papier. Ein silberner Ring am linken Mittelfinger. »Der Zeitpunkt Ende 1997 ist in der Tat interessant. Ich bin die finanziellen Verhältnisse durchgegangen. Alles, was du sichergestellt hast.« Sie sah kurz zu Felber. »Bankunterlagen, Versicherungspolicen, Einkünfte. Sein Konto bei der Sparkasse ist bereits beschlagnahmt.«
Strafprozessordnung Paragrafen 94 und 98, dachte Ehrlinspiel. Er kannte sie wie ein Pfarrer die Bibel.
»Der Tote hat bis Ende 1997 feste Gehälter bezogen. Sein letzter Arbeitgeber war, wie Moritz schon sagte,
Die Umsiedler.
Ab Januar 1998 kamen Gehaltszahlungen von seiner Krankenkasse, aber nicht in voller Höhe. Das ging ein knappes Jahr so. Seit Dezember 1998 hat er eine Berufsunfähigkeitsrente erhalten und zuletzt über 782 Euro monatlich verfügt. Das ist mehr als mager, obwohl er noch Glück hatte. Wäre er nach 1961 geboren, hätte die neue EU -Rentenregelung gegriffen, und er hätte nur die noch niedrigere Erwerbsunfähigkeitsrente bekommen. Der Rest ist kurz gesagt: kein Vermögen, kein Immobilienbesitz, keine Zahlungsverpflichtungen, außer natürlich die Miete. 421 Euro inklusive Nebenkosten. Zudem ging sein Beitragsanteil zur gesetzlichen Krankenkasse von der Rente ab. Das sind 108 Euro. Ihm blieben also etwa 250 Euro zum Leben. Auch keine Erbschaften, keine Schulden, nichts.«
»Hört sich nach einer langen Krankheit an, die in Arbeitsunfähigkeit geendet hat.« Meike Jagusch lehnte sich zurück. »Was hatte
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