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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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Es roch nach abgestandenem Blumenwasser. »Herr Müller?«, rief er, mit Blick in den leeren Raum.
    »Moment bitte«, vernahm er eine gedämpfte Stimme aus dem hinteren Teil des Gotteshauses.
    Gleich darauf stand ein hochgewachsener Mann mit runder Brille, schwarzem Pferdeschwanz und Bauchansatz vor ihm. Er trug eine beige Hose und ein weinrotes Hemd und reichte ihm die Hand. »Tobias Müller. Schön, dass Sie den Weg in Gottes Haus gefunden haben.«
    »Moritz Ehrlinspiel. Im Pfarramt sagte man mir, dass ich Sie hier finde. Ich bin von der Kripo.« Er zog seinen Dienstausweis hervor.
    »Lassen Sie nur. Unsere Tür steht allen offen.«
    »Ich bin dienstlich hier.« Er klappte das Lederetui mit dem Ausweis zu und steckte es zurück in die Hosentasche. »Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«
    Sie setzten sich in die vorderste Kirchenbank.
    »War die Frau, die eben gegangen ist, bei Ihnen?«
    »Miriam Roth? Ja. Sie ist oft hier. Ein frommes Schaf, sozusagen.« Er lächelte und wurde dann ernst. »Ist etwas mit ihr?«
    »Nein, nein. Sie wirkte nur ein wenig irritiert. Ich habe kürzlich mit ihr gesprochen, sie scheint mich nicht wiedererkannt zu haben.«
    »Das dürfen Sie ihr nicht übelnehmen. Miriam macht, nun ja, eine schwierige Zeit durch. Sie hat mir vorhin erzählt, dass zu alledem auch noch ein Nachbar ermordet worden ist. Das verunsichert sie. Ich kann es verstehen.« Er blickte ihn aus hellbraunen Augen an, die hinter den Brillengläsern besonders tief zu liegen schienen. »Sie sind wegen des Mordes gekommen, nicht wahr?«
    »Wie lange sind Sie schon Pfarrer hier?«
    »Sechzehn Jahre. Weshalb fragen Sie?«
    »Das Opfer hat vor vielen Jahren diese Kirche aufgesucht.«
    »Wer ist es? Frau Roth hat keinen Namen genannt.« Müller legte die Hände auf seine Schenkel, und Ehrlinspiel bemerkte, dass sie leicht zitterten.
    »Martin Gärtner.«
    Lange sagte Müller nichts, und außer dem leisen Geräusch vorbeifahrender Autos war nichts zu hören. Dann nickte er. »Charlotte Schweiger. Ihre Eltern nannten sie Charly, und die Mutter hat das ›a‹ immer etwas gedehnt. Eine Tragödie. Ich konnte Herrn Gärtner nicht helfen. Er war drei- oder viermal hier, wir haben geredet. Nein, er hat geredet, pausenlos. Ich wollte ihm Mut machen, doch er hat mich gar nicht wahrgenommen. Dann kam er nicht mehr.«
    »Erzählen Sie mir von ihm. Wie war er? Wie ist er mit dem Unfall umgegangen?«
    Endlich ein Zeuge, der den Toten nicht nur im Vorübergehen gegrüßt hatte.
    Der Seelsorger blickte zu Boden. Er trug Turnschuhe aus Stoff. »Wir sind genau hier gesessen, auf dieser Bank«, sagte er. »Das erste Mal hat er immer wieder ›Charlotte‹ gesagt, ›Charlotte, Charlotte‹, und bei der letzten Silbe des Namens ist seine Stimme gekippt. Seine Augen sind wie irr hin und her gegangen, er hat die Faust auf den Mund gepresst. Ich habe versucht, ihn aus diesem inneren Gefängnis herauszuholen, doch ich hätte ebenso gut zu einer leeren Kirchenbank sprechen können. Das war zwei Tage nach dem Unfall. Am Tag darauf ist er wiedergekommen, und zuerst benahm er sich wie beim ersten Mal. Doch dann hat er mich angeblickt. Ich sehe ihn noch vor mir. Diese blutunterlaufenen Augen, sein unrasiertes Kinn und die Kleidung, die völlig zerknittert war und säuerlich gerochen hat. ›Ich habe sie getötet. Ich werde auch sterben‹, waren seine Worte. Er hat sich pausenlos entschuldigt und geweint.«
    Ehrlinspiel horchte auf. »Auch sterben? Wie hat er das gemeint? Hat er davon gesprochen, dass er Rache fürchtet? Wurde er bedroht? Von Angehörigen oder Freunden der Familie Schweiger?«
    »Das glaube ich nicht. Nein, sicher nicht. Er fühlte sich schuldig an Charlys Tod und glaubte, deshalb auch kein Recht mehr auf Leben zu haben. ›Entschuldige, Charlotte, ich wollte es nicht, Charlotte, verzeih, Charlotte.‹ Er weinte, und es war, als hätte er sich in eine der schweren grauen Novemberwolken von damals verwandelt, aus denen es seit Tagen schüttete. Ich habe gar nicht gewusst, dass in einen einzigen Menschen so viele Tränen passen können.« Müller verstummte.
    Ehrlinspiel ließ ihn seinen Gedanken nachhängen. Vielleicht musste Müller erst nach weiteren Erinnerungen suchen. Er sah zu den bunten Fenstern, die die linke Kirchenwand bildeten. Was für ein Licht, dachte er, und wie die Farben auf dem Boden spielen. Rot, Orange, Gold. Man könnte fast an etwas Göttliches glauben.
    Als habe der Pfarrer seine Gedanken gelesen, drehte er ihm den Kopf

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