Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
Vom Netzwerk:
zugeflogen, riesig groß, als wollten sie in meine tauchen, und da hab ich schon diesen dumpfen Schlag und das leise Knacken gehört und das Quietschen der Bremsen, und ihr Schulranzen ist nach oben geflogen, rot war er, ja, rot, er ist ganz weit geflogen durch den Regen, und mit einem harten Ruck ist alles stillgestanden, die ganze Welt, nur Mick Jagger hat einfach weitergesungen, einfach so, als sei nichts gewesen,
I’m free to sing my song knowing it’s out of trend.
‹«
    Der Pfarrer atmete tief durch. Über Ehrlinspiels Arme kroch eine Gänsehaut.
    »Für Gärtner muss in der Sekunde des Aufpralls tatsächlich die Welt angehalten haben«, sagte Müller. »Ich habe ihm geraten, einen Psychiater oder Psychologen aufzusuchen. Das war keine Sache, die ich mir zugetraut hätte. Er hat auch nicht an Gott geglaubt, und ich wäre schon von daher nicht der richtige Mensch zum Trösten gewesen. Jedenfalls nicht auf Dauer.«
    »Was ist nach dem … dem Aufprall passiert? Sie sagten, er hätte in die Augen der Mutter geblickt?«
    »Ja. ›Ich bin einfach sitzen geblieben und hab rausgesehen‹, hat er weitererzählt. ›Durch das Glas und durch die Regenschlieren. Vor dem Laster hat sie gelegen, so zart wie eine Puppe mit verrenkten Armen und Beinen. Stundenlang bin ich da gesessen, viele Tage und Jahre, und hab zugesehen, wie ein kleines dunkles Rinnsal unter ihrem Kopf hervorgesickert ist und sich langsam eine Lache um sie herum ausgebreitet hat. So lange habe ich zugesehen, bis ich sie nicht mehr im Blick hatte, weil so viele Leute dastanden, immer mehr, sie sind angerannt gekommen, und ihre Münder waren offen, aber ich hab nichts gehört, weil Mick Jagger so laut gesungen hat, und irgendwann hat jemand die Fahrertür aufgerissen und mich rausgezerrt, und ich bin die Blechstufe runtergefallen und zu dem Mädchen gekrochen durch das regenverwässerte Blut, und da hab ich den Schrei gehört, diesen Schrei, und ich hab hochgeschaut und in diese Augen, die genauso ausgesehen haben wie die von dem Kind, nur größer, und da hab ich gewusst, dass ich kein Mensch mehr bin und mein Leben mit dem Leben von der Charlotte aufgehört hat.‹ Dann hat Gärtner die kleine Jesusfigur in die Krippe zurückgelegt, ganz sanft, als bette er sie zum ewigen Frieden. Zum Schluss hat er der Maria und dem Josef über den Kopf gestrichen, hat sich umgedreht und ist gegangen. Ich habe ihm lange nachgesehen.«
    »Er kam nie wieder?«
    Müller verneinte. »Ein paar Jahre später ist er mir einmal mit einem Hund begegnet. Aber ich glaube nicht, dass er mich erkannt hat. Er war grau geworden und sein Gang schleppend.« Müller sah Ehrlinspiel an. »Wie ist es ihm ergangen in all den Jahren?«
    »Das versuchen wir herauszufinden.« Er stand auf. »Sie wissen nicht zufällig, ob Miriam Roth oder andere Hausbewohner näheren Kontakt zu Martin Gärtner hatten?«
    »Tut mir leid.« Der Pfarrer erhob sich ebenfalls. »Ich wusste nicht einmal, dass er im selben Haus wohnt wie mein Schäfchen.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Miriam hat ihn nie erwähnt. Hätte sie den Namen genannt …« Er gab Ehrlinspiel die Hand und begleitete ihn zur Tür.
    »Eine letzte Frage«, sagte Ehrlinspiel am Ende der Bankreihen, wo sich Gesangbücher auf einem Tisch stapelten. »Charlottes Eltern kamen auch zu Ihnen, ist das richtig?«
    »Ja.«
    »Wie sind sie mit dem Verlust zurechtgekommen?«
    »Sie waren stark. Beide. Und der Bruder von Charly auch. Wir haben uns schon vor dem Unfall gut gekannt. Der Glaube hat ihnen Halt gegeben, und sie haben mir vertraut.« Er schwieg einen Moment. »Wenigstens hier konnte ich etwas tun.«
    »Haben Sie bei der Familie irgendwann einmal den Eindruck gehabt, sie könnte sich an Gärtner rächen wollen?«
    Müller sah ihm in die Augen. »Nein. Nie. Sie wollten Gärtner sogar treffen. Ein paar Wochen nach der Beerdigung. Aber er hat auf ihre Anrufe nicht reagiert, und auch ein Brief, den die Mutter geschrieben hat, ist unbeantwortet geblieben. Sie hat geschrieben, dass sie ihm keine Schuld gibt. Ich habe sie damals sehr bewundert dafür. Sie sind später nach Frankreich gezogen.«
    Ehrlinspiel nickte. »Gibt es noch Verwandte hier?« Vielleicht eine späte Vergeltung im Namen der Familie? Obwohl das unwahrscheinlich schien, wenn sogar die Mutter Gärtner verziehen hatte. Auch dass die Eltern jetzt, nach so vielen Jahren, jemanden beauftragt hatten, schien nach dem, was er eben erfahren hatte, abwegig.
    »Die Mutter hatte

Weitere Kostenlose Bücher