Mein wirst du sein
einer Tonlage, die Fensterscheiben zerspringen lassen könnte.
»Was willst du?«
»Ich brauche dich.«
Eine Pause entstand.
»Nett von dir. Aber ich kann heute Abend beim besten Willen nicht schon wieder auftreten.«
Ich legte auf, löschte das Licht und zog mir die Decke über die Ohren.
Das Klingeln begann erneut, und ich schwankte, ob ich es ignorieren oder den Hörer abnehmen sollte. Mein schmerzender Kopf gab den Ausschlag.
»Ich habe Urlaub, Lou. Das war eine Ausnahme gestern. Und heute bin ich nicht in der Lage aufzutreten.« Es waren die ersten zusammenhängenden und klar verständlichen Sätze, die ich sprach. Wenn sie auch eher krächzend aus meinem Inneren gekommen waren.
»Bitte, Jule. Du weißt, dass ich dich nicht anrufen würde, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.«
»Frag Cosima. Die wird sich bestimmt freuen.« Ich konnte und wollte nicht verhindern, dass sich leiser Spott in meine Stimme schlich.
»Es geht doch gar nicht um die Singerei! Ich habe ein Problem.«
Gedanklich stöhnte ich laut auf. Nicht schon wieder!
»Hast du Stress mit Hannes?«
Lou seufzte theatralisch.
»Ach der … der versteht das nicht. Nein, ich habe Ärger mit der Polizei.«
Unwillkürlich straffte ich mich und öffnete die Augen. Ich war wach. Wenn ich mich auch noch immer nicht gut fühlte.
»Bitte, Jule, es ist wirklich dringend. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich brauche den Rat einer erfahrenen Privatdetektivin.«
»Lou, ich habe Urlaub.«
»Es ist nichts Schlimmes. Aber ich wusste nicht, an wen ich mich so schnell wenden sollte.«
Nun war es an mir, zu seufzen. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste.
»Bitte, Jule.«
»Also gut. Was ist los?«
»Du musst jemanden für mich finden.«
Etwas in seiner Stimme sagte mir, dass er wirklich Hilfe benötigte. Außerdem war ich neugierig, auch wenn ich das nie zugegeben hätte.
»Okay, gib mir eine Stunde, ich komme.«
Fluchend hievte ich mich aus dem Bett und schlurfte ins Bad. Den Blick in den Spiegel vermied ich. Ich hatte eine ungefähre Ahnung, was mich erwartete. Und dass ich so lang brauchte, mein borstiges, widerspenstiges Haar in einen Pferdeschwanz zu zwingen, bestätigte meine düstersten Vermutungen. Vermutlich sah ich aus, als hätte ich mit der Hand in der Steckdose übernachtet.
Nicht, dass sich meine halblangen, brünetten Locken sonst zu einer brauchbaren Frisur formen ließen. Aber wenigstens hatte ich normalerweise für fünf Minuten das trügerische Gefühl, Herrin über das Chaos auf meinem Kopf zu sein.
Ich schluckte zwei Aspirin und ging duschen.
Der Frühling hatte über Nacht Einzug gehalten, draußen schien die Sonne, und das schmutzige Wetter, das in den letzten Wochen für ausgiebigen Regen und Schneefall gesorgt hatte, gehörte der Vergangenheit an. Vögel zwitscherten, und alles sah grün aus.
Doch es hätte Pflastersteine hageln können, es hätte mich nicht interessiert. Ich musste die verdammten Kopfschmerzen loswerden. So konnte ich unmöglich Auto fahren.
Ich ging in die Küche und kochte Kaffee. Ein Tag ohne meinen heißgeliebten Muntermacher war für mich wie ein Morgen ohne Sonnenaufgang, und ich wäre ernsthaft in Versuchung geraten, über den Weltuntergang zu sinnieren. Kaffee war eine Konstante in meinem Leben. Die einzige, wenn man so wollte.
Als der aromatische Duft durch den kleinen Raum zog, atmete ich erleichtert auf. Das Gurgeln der Maschine war Musik in meinen Ohren, und der Geruch allein sorgte dafür, dass ich mich augenblicklich besser fühlte.
Doch die Freude währte nur einen kurzen Moment. Auf der Suche nach Essbarem öffnete ich das Schränkchen über dem Herd. Neben Mehl und Kakao sollte eigentlich eine Schachtel Cornflakes stehen. Verdammter Mist, ich war nicht einkaufen gewesen.
Ohnehin hätte ich sie trocken essen müssen, denn auch die Milch war alle, wie mir ein Blick in den Kühlschrank zeigte. Und ob die Flocken mit Bier geschmeckt hätten, wagte ich zu bezweifeln. Als ich mir vorstellte, wie das Gebräu durch meine Kehle rann und im Magen auf die Reste der Cocktails von gestern Abend traf, verwarf ich den Gedanken schnell, ehe ich ein stilles Örtchen aufsuchen musste.
Der Tag fing denkbar schlecht an, denn auch die letzten beiden Scheiben Toast hatten einen grünlichen Pelz. Dabei war es erst halb neun. Eigentlich hätte ich spätestens jetzt wissen müssen, dass Unheil drohte.
Aber ich trank in Ruhe meinen Kaffee und freute mich, dass die Lebensgeister langsam
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