Mein wirst du sein
zurückkehrten, wenn ich auch nichts zum Frühstücken im Haus hatte.
Schließlich stand ich auf, nahm meinen Lederbeutel und verließ die Wohnung. Sorgfältig schloss ich ab und vergewisserte mich, dass die Tür richtig geschlossen war. Über die Sinnlosigkeit dieser Geste dachte ich keinen Augenblick nach, denn die alte, zerkratzte Tür bot niemandem Einhalt, der hineingelangen wollte. Aber es gab mir ein Stück Sicherheit in meinem Leben.
Ich ging die beiden Stockwerke nach unten, grüßte murmelnd Frau Beierlein, die 86-jährige Dame, die im ersten Stock wohnte und altersgebeugt die Zeitung aus dem Briefkasten fischte. Ich beeilte mich, an ihr vorbeizukommen. Auf ein längeres Gespräch über das Wetter oder die junge Frau, die im ersten Stock mit ihrem Jungen eingezogen war, hatte ich keine Lust.
Vor der Tür stolperte ich beinahe über den kleinen Kerl. Er mochte vielleicht acht Jahre alt sein und sah ein bisschen verwildert aus. Ein trotzig anklagender Blick aus fast schwarzen Augen streifte den meinen.
»He, guten Morgen«, grüßte ich überrascht. »Was machst du denn hier? Keine Schule heute?«
Er sah mich einfach nur an. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Fahrrad, das an der Hauswand lehnte.
Da war wohl noch jemand anderes mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden.
Ich zuckte die Achseln, überquerte den Hof und ging über die Straße zu meinem alten Golf. Trotz 174.000 km sprang er problemlos an. Das mochte sich albern anhören, aber ich war stolz darauf.
Ich hielt mich exakt an Tempo 30, als ich die Brenzstraße entlang fuhr. Zu viele Strafzettel hatten sich in letzter Zeit angesammelt, und manch einer wartete noch auf seine Bezahlung. In der Karlstraße fädelte ich mich in den fließenden Verkehr ein und ließ mich durch die Stadt nach Neu-Ulm treiben.
Auf der Fahrt überlegte ich, was Lou widerfahren sein mochte.
Wie lang kannte ich ihn jetzt schon? Zwei Jahre vielleicht? Ich wusste, dass er eine kriminelle Vergangenheit hatte, und dass er im Knast gewesen war. Was genau damals vorgefallen war, entzog sich meiner Kenntnis. Lou sprach nicht gern darüber. Das Wenige, das ich in Erfahrung gebracht hatte, hatte er mir in angesäuseltem Zustand selbst erzählt. Er hatte nur gesagt, dass es um Drogen gegangen war, und dass er damit abgeschlossen hatte. Ich glaubte ihm.
Im ›Jazz-Keller‹ hatten wir alle eine Vergangenheit, auf die wir nicht gerade stolz waren. Überhaupt war der ›Jazz-Keller‹ ein Sammelbecken für eine recht illustre Gesellschaft. Böse Zungen behaupteten, dass wir verkrachte Kreaturen seien. Mich kümmerte das nicht. Umso überraschter war ich nach dem Anruf gewesen, als ich gehört hatte, dass Lou Probleme mit der Polizei hatte.
Er musste bereits auf mich gewartet haben, denn er öffnete meine Autotür, noch ehe ich den Motor abgestellt hatte.
»Endlich!« Er keuchte, als habe er einen Marathonlauf hinter sich. Dabei war er lediglich von seinem Büro auf den Parkplatz gelaufen.
Sein schwarzes Hemd hatte verdächtig nasse Flecken nicht nur unter den Achseln, und ich fragte mich, ob die von der Angst vor der Polizei oder seiner beachtlichen Körperfülle herrührten.
Er streckte seinen feisten Kopf mit dem weißen Panamahut zum Auto herein und atmete hastig und abgehackt.
»Du musst mir helfen, Jule«, flehte er und klang schon wieder hysterisch, als er den Panamahut ein wenig zurückschob. »Es ist schrecklich, eine Katastrophe! Für mich ein Weltuntergang!«
So gern ich Lou mochte, sein Hang zum maßlosen Übertreiben und zur Hysterie ging mir gehörig auf den Senkel.
Lou hieß eigentlich Gregor Falke und war Besitzer des ›Jazz-Kellers‹, eines kleinen aber feinen Clubs in Neu-Ulm, der sich ganz dem Jazz verschrieben hatte. Es gab nur eine Ausnahme: mich. Wenn ich sang, sang ich, was mir gefiel. Nur keinen Jazz.
Das lag nicht daran, dass ich Jazz nicht mochte. Im Gegenteil. Aber singen konnte ich das nicht, dafür hatte ich nicht genügend Soul in der Stimme.
Mit den weißen Anzügen, die Lous enorme Figur auch nicht mit viel gutem Willen verbergen konnten, und dem Panamahut sah er aus wie eine zu klein geratene Kopie von Lou Bega.
Seufzend zog ich die Handbremse an, stellte den Motor ab und zog den Schlüssel aus dem Schloss. Dann wandte ich mich ihm zu und sah direkt in ein Paar panischer Augen.
»Ich würde dir ja gern helfen, Lou. Aber du könntest mich wenigstens aussteigen lassen.«
»Ja natürlich, entschuldige«, murmelte er. Statt auf
Weitere Kostenlose Bücher