Mein wundervolles Genom
die Erblichkeit von Empathie zwischen 30 und 50 Prozent beträgt. Und der Grad Ihrer Religiosität hängt nicht nur davon ab, wie religiös Ihre Eltern waren und wie regelmäßig sie zur Kirche gegangen sind. In einer großen vergleichenden Studie an mehreren Bevölkerungsgruppen fanden Forscher der University of Minnesota 2005 heraus, dass die Neigung zu Religiosität oder Spiritualität zu über 40 Prozent erblich ist. 4
Im Bereich der Politik hat eine kleine Gruppe von Sozialwissenschaftlern, darunter viele aus den Vereinigten Staaten, die Genetik zur Erweiterung ihrer Erklärungsmodelle verwendet; schließlich sind Menschen nun einmal biologische Wesen. Zu den Pionieren gehören »die beiden Johns«: John Alford von der Rice University in Texas und John Hibbing von der University of Nebraska-Lincoln. Sie fanden 2005 Hinweise, dass unsere grundlegenden politischen Einstellungen erblich sind. Ob Sie konservative oder linke Sympathien haben, ist also auch eine Frage der Gene. Die Forscher fragten amerikanische und australische Zwillinge nach ihrer Haltung zu einer ganzen Reihe von brisanten politischen Themen wie Schwulenrechte, Todesstrafe und Schulgebet. Sie stellten fest, dass eineiige Zwillinge mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit identisch antworteten als zweieiige Zwillinge – in einem solchen Ausmaß, dass die Forscher die Erblichkeit politischer Einstellungen auf 40 Prozent bezifferten. 5
Die Studie von Alford und Hibbing war umstritten – und sie war der Startschuss für einen ganz neuen Bereich der Forschung mit dem wenig attraktiven Namen Genopolitik. In den letzten Jahren war auf diesem Gebiet der junge, ambitionierte Wissenschaftler James Fowler von der University of California in San Diego tonangebend, der für eine Vermischung von Soziologie und Genetik zu einer »neuen Wissenschaft von der menschlichen Natur« 6 plädiert. Das hat ihm Superlative wie »originellster Denker« des Jahres eingebracht. 7 2008 förderten zwei Studien zum Wahlverhalten zutage, dass es zu bis zu 60 Prozent erblich ist, ob Menschen wählen gehen oder auf dem Sofa sitzen bleiben. 8 Ein Jahrspäter zeigte Fowler, dass die Gene auch mit darüber entscheiden, ob jemand ein treuer Anhänger einer politischen Partei ist – unabhängig von der Partei.
Manche Kommentatoren rümpfen über solche Ergebnisse die Nase und fragen, wie Gene einen Einfluss auf Verhaltensweisen haben können, die doch eine moderne Erfindung und nicht im Geringsten »natürlich« sind. Der Einwand sei Unsinn, hält Fowler ihnen entgegen. Wenn man das ganze Drumherum von Wahlkampfslogans, Urnengängen und dergleichen wegstreicht, geht es bei politischem Verhalten im Kern um unsere Einstellung zu Kooperation und sozialem Austausch – Eigenschaften, die für das Überleben unserer Spezies schon in der Steinzeit höchst wichtig waren. Fowler meint, dass die Gene, die bei der Politik ins Spiel kommen, diejenigen sind, die unser soziales Verhalten und unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit in Gruppen geregelt haben.
Allerdings räumt Fowler ein, dass man eine Menge Annahmen voraussetzen muss, um ein Gen mit einem prähistorischen Verhalten in Verbindung zu bringen. Deshalb gibt er sich nicht mit den Details zufrieden, die man aus Zwillingsstudien ablesen kann. Denn in gewisser Weise sind Zwillingsstudien so, wie wenn man in zehntausend Metern Höhe über eine Landschaft fliegt. Man sieht, dass unten etwas wächst, das grün ist, aber es ist unmöglich festzustellen, ob es Weizen ist oder Gras. Ebenso sagt die Tatsache, dass etwas Erbliches im Spiel ist, nichts darüber aus, was erblich ist, das heißt, welche biologischen Mechanismen beteiligt sind.
Um tiefer in dieses genetische Gestrüpp vorzudringen, nehmen die Wissenschaftler molekulare Studien zu Hilfe und suchen nach den Genen, die ein bestimmtes Risiko erhöhen – ob für Schizophrenie oder für Konservatismus. Sie erforschen, was diese Gene tun: welche Enzyme sie produzieren, wie aktiv die Enzyme sind und welche Aufgaben sie im Organismus erfüllen. Diese neue Form der Verhaltensgenetik, die auf Genchips und die Modelle von Assoziationsstudien setzt, besitzt ein großes Potenzial – nicht nur für die Forschung, sondern auch für Schlagzeilen: Wenn die Medien von Zeit zu Zeit berichten, jemand habedas Gen »für« etwas gefunden – das »Rauchergen«, das »Untreuegen«, das Gen für schlechtes Autofahren –, dann stammt die betreffende Studie mit ziemlicher Sicherheit aus der molekularen
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