Mein wundervolles Genom
wurden, also identische Gene haben, aber unter vollkommen verschiedenen Umwelteinflüssen aufgewachsen sind. Wenn das Merkmal sich bei ihnen unterscheidet, kann es nicht allein durch die Gene erklärt werden. Mit statistischen Methoden können die Wissenschaftler herausfinden, wie viel Einfluss die Umwelt hat und wie viel die Gene. Ein anderer Ansatz ist, ein Merkmal einmal bei genetisch identischen Zwillingen zu untersuchen und dann bei zweieiigen Zwillingen, die nur die Hälfte ihres Genoms gemeinsam haben. Wieder kann man anhand der Unterschiede zwischen beiden Gruppen den Grad der Erblichkeit eines Merkmals errechnen.
Es gibt einige Kritik an Zwillingsstudien, besonders weil die dabei angewendeten Methoden und mathematischen Berechnungen sich dauernd weiterentwickeln und diskutiert werden. Darf man beispielsweise annehmen, dass die Umwelt von Zwillingen identisch ist, nur weil sie zum selben Zeitpunkt geboren wurden und am selben Ort aufgewachsen sind?
Doch trotz solcher berechtigter Fragen ist und bleibt diese Methode ein hervorragendes Instrument, um die Erblichkeit einzuschätzen. Bei der Schizophrenie beispielsweise kann man angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit Zwillinge, eineiige wie zweieiige, von der Krankheit betroffen sein werden. Wenn es bei der Schizophrenie eine genetische Komponente gibt, müsste man annehmen, dass eineiige Zwillinge häufiger gemeinsam betroffen sind als zweieiige. Und tatsächlich, die Statistik zeigt es ziemlich eindeutig: Wenn Sie einen eineiigen Zwilling haben, der schizophren ist, ist Ihr Risiko, ebenfalls daran zu erkranken, fünfzig Mal so hoch wie für die Bevölkerung insgesamt. Wenn Sie einen zweieiigen Zwilling oder einen Bruder oder eine Schwester mit Schizophrenie haben, ist Ihr Risiko nur fünf Mal so hoch. Wenn Wissenschaftler diese Zahlen in die Gleichungen der quantitativen Genetik übersetzen, kommen sie zu dem Ergebnis, dass Schizophrenie zu bis zu 80 Prozent von genetischen Faktoren abhängt.
Dass Krankheiten etwas mit »schadhaften« Genen zu tun haben, ist für die meisten von uns nachvollziehbar. Aber viele Menschen haben Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass auch ihre eigenen, ganz normalen psychischen Merkmale von ihrer DNA herrühren. Trotzdem scheint es so zu sein. Im Lauf der Jahrzehnte haben Zwillingsstudien immer wieder gezeigt, dass es bei praktisch jedem psychischen und intellektuellen Merkmal und jeder denkbaren Verhaltensweise ein gewisses Maß an Erblichkeit gibt, selbst in Fällen, wo man nie denken würde, dass sie etwas mit der DNA zu tun haben. Der amerikanische Psychologe Eric Turkheimer von der University of Virginia hat darum etwas vorgeschlagen, was er den Hauptsatz der Verhaltensgenetik nennt: »Alle menschlichen Verhaltensmerkmale sind erblich.« 2
Nehmen wir die Intelligenz, eines der am intensivsten untersuchten Phänomene. Wir sind unendlich fasziniert davon: Wie können wir sie messen, wie schneiden wir im Vergleich zu anderen ab? Seit Jahrhunderten streiten die Menschen darüber, was »Intelligenz« bedeutet. Es hat sich herausgestellt, dass Intelligenz, wie sie in den üblichen IQ-Tests gemessen wird, ein Merkmal ist, bei dem Erblichkeit eine besonders große Rolle spielt. Tatsächlich sieht es so aus, als könnte man 80 Prozent der IQ-Varianz bei Erwachsenen auf genetische Faktoren zurückführen. Eine andere geistige Fähigkeit, das Gedächtnis, ist ebenfalls teilweise erblich, aber hier beträgt der Anteil der Gene nur rund 20 Prozent.
Nun, Sie denken vielleicht, in diesen Fällen sprechen wir von geistigen Fähigkeiten – also von einer Eigenschaft, die bis zu einem gewissen Grad auf die Mechanismen des Gehirns und ihr Funktionieren zurückgeführt werden kann: Es ist beinahe zu offensichtlich, dass die geistigen Fähigkeiten zum Teil physischer Natur sein müssen. Aber besonders komplexes Verhalten und andere »weiche« Merkmale, die wir oft ins Gebiet von Psychologie oder Soziologie schieben, erweisen sich ebenfalls in einem überraschenden Ausmaß als erblich.
Nehmen wir zum Beispiel den zwanghaften Sammeltrieb. Das Bedürfnis, die Wohnung mit Weihnachtsengeln, alten Comics oder Bierdeckeln vollzustopfen, ist offenbar klar genetisch bedingt – zumindest bei Frauen. 2009 kam eine Studie mit über viertausend weiblichen Zwillingen zu dem Ergebnis, dass die Erblichkeit bis zu 50 Prozent ausmacht. 3 Fällt es Ihnen schwer, diese Lust am Sammeln nachzuvollziehen? Nun, in anderen Zwillingsstudien hat sich gezeigt, dass
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