Mein wundervolles Genom
nicht mit Krankheit zu tun hat, kann den Ausschlag geben. Wenn sich die Menschen ernsthaft für etwas interessieren, dann für Verhalten, Persönlichkeit und Gehirnfunktionen. Solche Dinge wird man mit dem Personal Genome Project erforschen können. Die Teilnehmer werden bald Tests zu kognitiven Fähigkeiten und sozialen Verhaltensweisen machen können«, erzählt Church und greift endlich nach einem Minicroissant.
Ich bin geneigt zu glauben, dass er recht hat. Bisher wurde individualisierte Genomanalyse weitgehend als etwas präsentiert und verkauft, was mit der Gesundheit zu tun hat. Natürlich ist die Gesundheit wichtig, aber letztlich sind unsere Krankheiten und Handicaps nicht das Interessanteste am Menschsein. Das ganze körperliche Zeug ist nur die Basis. Es muss in Ordnung sein, aber wirklich aufregend ist es nicht.
Wirklich aufregend wird es an der Schnittstelle zwischen der physischen Existenz und der Person, die wir als Menschen wahrnehmen. Wiekommen wir von den Genen zu dem, was wir in Ermangelung eines wissenschaftlicheren Begriffs Seele nennen?
5 Tief im Gehirn
Wann immer Sie können, zählen Sie.
Sir Francis Galton
Was ist das interessanteste Thema auf der Welt? Für uns alle ist es dasselbe: wir selbst. Ich. Und eine der quälendsten Fragen lautet: Wie bin ich geworden, wer ich bin? Die Antwort hat natürlich mit Genetik zu tun, mit dem biologischen Erbe, das unsere Psyche, unsere Mentalität – und damit auch unser Leben – prägt. Aber ist der Lauf des Lebens von Anfang an vorgezeichnet, oder können wir mit unserem eisernen Willen die Richtung bestimmen?
»Mein Temperament, meine Lebenseinstellung, meine Persönlichkeit – da können nicht überall Gene im Spiel sein. Das stimmt einfach nicht!« So sprach eine Künstlerin, die ich in Los Angeles kennenlernte. Hinter ihrer modischen Brille mit breitem Rahmen riss sie die Augen auf. Sie konnte sich einfach nicht mit der Idee anfreunden, nicht der absolute Souverän über sich selbst zu sein; sie fühlte in ihrer Seele, dass sie vollständige Wahlfreiheit hatte. Dass die ätherische Psyche eines Menschen nicht durch die banale, schmutzige Biologie geformt wird, sondern durch Erziehung, Erfahrung und Umwelt – anders gesagt, nicht durch »nature«, sondern durch »nurture«. »Es geht darum, wer ich bin – das ist nichts Physisches«, sagte sie.
Doch es ist nun einmal so: Wir sind physisch. Wir erfahren die Welt nicht, wie sie ist, sondern wie sie uns durch Hunderte Milliarden Gehirnzellen gefiltert erscheint. Die Art und Weise, wie diese Zellen auf Reize von außen reagieren und entsprechend miteinander kommunizieren, wird zum Teil durch genetische Gegebenheiten bestimmt. Zugegeben, das Gehirn ist so komplex, dass seine Struktur nicht vollkommen durch unsere Gene determiniert wird. Das geht aus Untersuchungen mit eineiigen Zwillingen hervor, die in der Regel genetische Klone sind, aber keine vollkommen identischen Gehirne haben. Trotzdem tragen Gene dazu bei, die Entwicklung und Funktion des Gehirns zu definieren, Zelle für Zelle, unser ganzes Leben lang. Fleißige Rezeptoren geben einen stetigen Strom von Nervensignalen weiter; Wachstumsfaktoren regeln den kontinuierlichen Umbau der Gehirnarchitektur; Enzyme sorgen für den Stoffwechsel – dass alle wichtigen Akteure im Gehirn verfügbar und effizient sind, wird durch genetische Informationen gewährleistet.
»Es steht außer Frage, dass Gene einen starken Einfluss darauf haben, wie wir handeln«, heißt es ganz zu Anfang in einem Artikel in Science über die Geschichte der Untersuchung von Genen, die im Zusammenhang mit Verhaltensweisen von Aggression und Depression bis hin zu Untreue und einem lausigen Liebesleben analysiert wurden. 1 Nach der Berichterstattung in den großen wissenschaftlichen Zeitschriften zu urteilen, ist Verhaltensgenetik das Thema der Zukunft.
Das war nicht immer so. Lange Zeit war es unpopulär, die genetischen Grundlagen dafür zu untersuchen, wie Menschen denken, fühlen und handeln. Jahrzehntelang war dieser Bereich mit einem unerfreulichen Kapitel der Wissenschaftsgeschichte verknüpft. Der üble Geruch von Eugenik und Genozid hing der Verhaltensgenetik an wie Zigarettenrauch einem Wollpullover.
Alles begann mit Darwins Vetter. Der britische Anthropologe und Universalgelehrte Sir Francis Galton las begeistert Charles Darwins Werke über die Entwicklung der Arten und teilte seinem Verwandten sofort seine Überzeugung mit, dass die geistigen Fähigkeiten
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