Mein wundervolles Genom
Forschung.
Am Anfang hatte die molekulare Forschung allerdings keine gute Presse. 1993, als der amerikanische Verhaltensgenetiker Dean Hamer mitteilte, ein bestimmter Abschnitt auf dem X-Chromosom gehe allem Anschein nach mit einer Neigung zu Homosexualität bei Männern einher, erhob sich ein Aufschrei. Hamer behauptete nicht, er habe eine Prädisposition gefunden, die immer auch zur Ausprägung komme oder die bei allen homosexuellen Männern auftrete, sondern einfach nur eine Prädisposition, die statistisch überrepräsentiert war in der relativ kleinen Stichprobe homosexueller Männer, die er untersucht hatte. Seine ersten Studienobjekte waren vierzig Brüderpaare, einige davon homosexuell. Später untersuchte er eine weitere Gruppe und stieß wieder auf die gleiche Region: Xq28. 9
Schwulenorganisationen feierten Hamers Erkenntnisse, denn sie lieferten stichhaltige Argumente, die Diskriminierung Homosexueller zu bekämpfen: Da die sexuelle Orientierung ein Teil der Biologie ist, kann man einem homosexuellen Menschen nicht vorwerfen, pervers oder widernatürlich zu sein. Außerhalb von Homosexuellenkreisen fanden die Erkenntnisse weniger Anklang, vor allem in bestimmten religiösen Kreisen, die behaupteten, sie könnten Homosexuelle zur Heterosexualität »bekehren«. Nach ihrer Ansicht war (und ist) Homosexualität ein frei gewähltes Verhalten. Aber auch außerhalb religiöser Gruppen gab es Widerstand. Einige forderten im Namen der »Political Correctness«, Wissenschaftler dürften keine Forschungen zu solchen Themen durchführen. Denn was wäre, wenn es tatsächlich ein »Schwulengen« geben sollte? Würden dann werdende Mütter auf die Idee kommen, ihre Föten pränatal testen zu lassen, und würden manche Frauen womöglich beschließen, einen »schwulen« Fötus abzutreiben? Selbst Wissenschaftlerkollegen griffen Hamer an, unter anderem mit dem Vorwurf, er würde komplizierte psychosoziale Zusammenhänge auf simple Biologie reduzieren. »Das ist die solideste Arbeit, die unsere Forschungsgruppe jegeleistet hat, aber wir mussten sie damals aufgeben, weil es unmöglich war, Gelder dafür zu bekommen«, sagte mir Hamer, als ich viel später über die damaligen Ereignisse mit ihm sprach. »Die Debatte war unglaublich schrill und hatte mit Wissenschaft nichts mehr zu tun, es ging nur um ideologische Positionen zu Homosexualität.«
Noch schrillere Stimmen waren etwas später zu vernehmen, als der niederländische Wissenschaftler Han Brunner ein »Aggressionsgen« 10 identifizierte. Brunner hatte eine holländische Familie untersucht, in der über fünf Generationen hinweg auffallend viele Männer gewalttätig, kriminell und von unterdurchschnittlicher Intelligenz waren, und er stellte fest, dass sie alle schadhafte Versionen des MAOA-Gens hatten. Dieses Gen codiert für das Enzym Monoaminoxidase, das eine Reihe von Neurotransmittern wie Epinephrin (Adrenalin), Norepinephrin (Noradrenalin) und Serotonin abbaut. Bei den aggressiven Männern blockierte das schadhafte Gen die Produktion des Enzyms, mit der Folge, dass die Transmittersubstanzen das Gehirn überschwemmten. Brunners Entdeckung zwang die Öffentlichkeit, sich der Frage zu stellen, ob Aggression und anderes unkontrolliertes Verhalten auf Varianten des MAOA-Gens zurückgeführt werden konnten. Einige Kommentatoren malten das Szenario an die Wand, gewalttätige Kriminelle würden künftig Gentests fordern und sich mit dem Satz verteidigen, »es waren meine Gene«. Andere prophezeiten Kontrolluntersuchungen von Problemkindern und nachfolgende Stigmatisierung aufgrund ihrer Gene.
Nach diesen frühen Auseinandersetzungen nahm die Öffentlichkeit die Nachricht erfreut auf, dass eine genetische Erklärung dafür gefunden worden war, warum manche Menschen einen besonderen Drang zu Aktivitäten und Erlebnissen verspüren, die ihnen einen Kick verschaffen. In zwei Artikeln, die 1996 in der renommierten Zeitschrift Nature Genetics erschienen, berichteten amerikanische und israelische Forscher unabhängig voneinander, dass sie eine Verbindung zwischen einer bestimmten Variante des Gens für den Dopamin-D4-Rezeptor und einer risikosüchtigen Persönlichkeit gefunden hätten. 11 Die Verbindung hatte sogar physiologische Logik.
DRD4, wie der Rezeptor wissenschaftlich heißt, ist ein Protein, das sich auf der Oberfläche bestimmter Gehirnzellen befindet, vor allem in den Hirnregionen, in denen Emotionen verarbeitet werden: dem limbischen System. Hier fängt der
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