Mein wundervolles Genom
unerwünschte Bahn bringt.
Damit sind wir nun endlich bei der Frage angekommen, wie viel wir gewinnen, wenn wir unseren genetischen Ballast vollständig erfassen. Daniel Weinberger ist nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, allzu tief in unsere Mutationen und Aberrationen einzutauchen; anscheinend fürchtet er, dass wir doch die Idee hegen, Gene seien Schicksal.
Natürlich hat er recht, dass wir noch längst nicht wissen, wie wir am besten auf die Nachricht reagieren, dass wir Träger einer bestimmten Genvariante sind. Doch nach meiner ersten Erfahrung mit den SNPs gewinnt meine Neugier die Oberhand über meine Skepsis als Grübler. Ich habe meine Rohdaten von deCODEme durch das Promethease-Programm filtern lassen und meine COMT-Varianten identifiziert, aber ich möchte noch mehr wissen. Wie ist es mit anderen Genen, deren Bedeutung für Verhalten und psychische Verfassung wir langsam zu erkennen beginnen? Werde ich mich und meine Eigenheiten und Neigungen besser verstehen, wenn ich tiefer in mein Genom blicke?
Ich will zumindest den Versuch unternehmen. Ich habe versprochen, mich zu Hause in Kopenhagen einer ganzen Batterie von Forschern zur Verfügung zu stellen, die herausfinden wollen, wie Gene und Kindheitserfahrungen zusammenwirken und die Persönlichkeit formen.
6 Persönlichkeit ist ein Wort mit vier Buchstaben
Man bestimmt sich im Verlauf seines Lebens. Sich ganz kennen heißt sterben.
Albert Camus
»Wir testen auf zwölf Gene. Deshalb müssen wir so viele Röhrchen füllen. Und noch zwei zusätzlich zur Gegenkontrolle.«
Die junge Ärztin legt etliche Röhrchen auf den Tisch und macht sich auf die Suche nach der richtigen Nadel für die Blutabnahme. Wir kennen uns bereits von einer früheren Gelegenheit. Diesmal trägt sie nicht den kecken Pferdeschwanz, aber es ist dieselbe Ärztin, die mich im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Persönlichkeit, Depression und Genen damals bereits zu meinen nächsten Verwandten – ihrem Verhältnis zu Alkohol und ihren psychischen Erkrankungen – befragt hat. Nun sitzen wir uns wieder im Untergeschoss der Universitätsklinik von Kopenhagen gegenüber und wollen uns die genetische Seite bestimmter Dinge anschauen. Im Haus wird groß renoviert, deshalb hocken wir an einem kleinen Kaffeetisch, der einfach auf den Flur gestellt wurde, mitten im Chaos des Umbaus.
»Sie haben richtig gute Venen«, sagt sie anerkennend. Die leicht angeschwollenen blauen Gefäße an meinem linken Arm drängen sich der Nadel förmlich entgegen. Trotzdem schafft sie es irgendwie, dass nur ganz wenig Blut ins erste Röhrchen tropft. Sie versucht den Blutfluss zu verbessern, indem sie die Nadel vor und zurück schiebt – vergebens, es tut nur weh.
»Versuchen wir es am anderen Arm«, meint sie. Das gleiche Ergebnis. Sieben Jahre Ausbildung, denke ich, und was lernen sie da? Aber ich sage nichts. Schließlich habe ich es selbst so gewollt, ich habe mich als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt. Der Deal mit den Forschern vom Center for Integrated Molecular Brain Imaging (Zentrum für Integriertes Molekulares Gehirn-Imaging) ist klar: Sie bekommen einen Haufen ausgefüllte Fragebögen und jede Menge Blut von mir, als Gegenleistung darf ich die Ergebnisse meiner Gentests mit der Leiterin des Zentrums, Gitte Moos Knudsen, diskutieren. Ich konnte ihr dieses Entgegenkommen abringen, weil wir von derselben Sache fasziniert sind. Uns beide interessiert »wie verrückt, was individuelle Unterschiede im Verhalten und in der Persönlichkeit bewirkt«, wie sie sagt.
Aber was genau ist die Persönlichkeit?
An dieser Stelle muss man das molekulare Reich verlassen und sich der Psychologie zuwenden, wo die Persönlichkeitsforschung traditionell angesiedelt ist. Im Vergleich zu Molekülen und Neurotransmittern, die aus Atomen und chemischen Stoffen bestehen, erscheint die Persönlichkeit eigenartig und ätherisch. Wir haben eine intuitive Vorstellung, was Persönlichkeit ist, aber es ist schwierig, eine klare, knackige Formulierung dafür zu finden. Vielleicht beschreiben Sie einen Freund als hilfsbereit, geduldig und ein bisschen introvertiert oder sich selbst als klug, großzügig und gesellig. Aber der Versuch, das Phänomen Persönlichkeit in eine Definition zu pressen, ist ein bisschen so, als würde man Sand in ein Sieb schaufeln. Was in der Welt misst man da?
Wird die Persönlichkeit dem Menschen fix und fertig mitgegeben oder bildet und formt sie sich durch die Erfahrungen des Lebens? Und
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