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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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bestimmten genetischen Konstellation ein Risiko erhöht, kann in einer anderen schützend wirken.
    »E-p-i-s-t-a-s-i-s«, sagt Weinberger überdeutlich. »Interaktion, wissen Sie, gegenseitige Kontrolle. Wir sprechen hier über individuelle Gene, richtig? Das tun wir, weil die Forschung üblicherweise immer nur ein Gen untersucht. Aber letztlich hängt alles am Zusammenspiel. Ich weiß,Ken Kendler hört das nicht gern, aber deshalb versteht er es nicht. Er behauptet steif und fest, die Daten aus Populationsstudien würden nicht bestätigen, dass es Epistasis gibt, aber das stimmt nicht.«
    Tatsächlich könnte das bei MAOA und Testosteron der Fall sein. Eine amerikanisch-schwedische Forschergruppe unter Leitung von Rikard Sjöberg an den NIH hat fünfundneunzig finnische Alkoholiker, die wegen Gewaltverbrechen verurteilt worden waren, mit fünfundvierzig gesetzestreuen Abstinenzlern verglichen. Alle Studienteilnehmer wurden psychologisch getestet, füllten einen Fragebogen zur Ermittlung ihres Aggressionslevels aus, ihre Testosteronspiegel wurden gemessen und die MAOA-Gene untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Männer mit einem hohen Testosteronspiegel und mindestens einer MAOA-Genvariante mit geringer Aktivität eine höhere Neigung zu antisozialem und gewalttätigem Verhalten hatten. Bei den Männern ohne diese Genvariante hatte der Testosteronspiegel anscheinend keinen Einfluss auf den Aggressionslevel. 24
    Eine überraschende Studie aus dem Labor von Caspi und Moffitt hat den Fokus auf ADHS gerichtet. Man weiß, dass diese Störung teilweise erblich ist, aber sie kann sich sehr unterschiedlich ausdrücken. Manche hyperaktiven Kinder haben nicht nur Probleme mit der Aufmerksamkeit, sondern generell mit antisozialem Verhalten: Sie prügeln sich, stehlen, stecken Dinge in Brand. Caspi wollte herausfinden, ob es einen Zusammenhang zwischen antisozialen Zügen und den Varianten des COMT-Gens gibt. Und er fand ihn. Die jungen Leute mit der Diagnose ADHS und »frühem, anhaltendem antisozialen Verhalten« hatten in der großen Mehrheit zwei Kopien der »kriegerischen« Valin-Variante. 25 »Wahrscheinlich beruht die Rolle von COMT bei antisozialem Verhalten auf einer Interaktion mit anderen Genen oder Verhaltensfaktoren bei ADHS«, sagte Caspi bei Erscheinen der Studie.
    Was passiert, wenn wir solche und weitere Verbindungen entdecken? In naher Zukunft wird das Genom bei jedem Kind gleich nach der Geburt sequenziert werden, und dann sind diese Verbindungen nicht mehr das Thema von Artikeln in wissenschaftlichen Zeitschriften, sondern Teil des Alltagslebens. Ist dieses Wissen für uns als Individuen oder für die Gesellschaft gut? Wenn jemand zum Beispiel von Anfang an wüsste, dass seine beiden COMT-Gene die Met-Variante aufweisen und er damit prädisponiert ist, zu grübeln und sich Sorgen zu machen, wird dieses Wissen dann einen Einfluss darauf haben, wie er sein Leben lebt?
    Daniel Weinberger blickt vor sich auf den Tisch und windet sich. »Nun«, sagt er schließlich, »für den Einzelnen können Sie nichts voraussagen, weil es um sehr kleine Schalter geht, die sehr fein justiert sind. Der Effekt eines einzelnen Gens ist nicht groß.«
    Natürlich, das ist richtig. Man müsste in der Lage sein, sich die eigenen Gene anzuschauen und dann zu sagen: »Oh, vielleicht sollte ich dies tun im Hinblick auf jenes.« Aber wie viele von uns können das schon, wenn wir mit Krebs oder einer anderen Krankheit in der Familie konfrontiert sind? Ich habe deutlich den Eindruck, dass er der Frage ausweicht. Vielleicht weil letztlich jeder Forscher sagen möchte, dass seine Arbeiten trotz des möglichen Schadens doch etwas Gutes gebracht haben?
    »Nehmen Sie die Psychiater, solide, altmodische Psychiater«, spottet er. »Sie stellen den Leuten unendlich viele Fragen über ihre Mütter, als könnten wir auf dieser Grundlage gute Voraussagen machen. Der Berufsstand ist regelrecht entgleist, als die Psychiater anfingen, auf der Grundlage von rein subjektiven Informationen Ratschläge zu geben und Voraussagen zu treffen. Gene sind wenigstens objektiv. Aber ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob es hilfreich ist, wenn Sie erfahren, dass Sie eine genetische Disposition haben, eher ängstlich zu sein. Das wissen Sie schon aus Ihrem bisherigen Leben.«
    »Sie meinen, es kann eine sich selbst erfüllende Prophezeiung werden?«
    »Ich weiß einfach nicht, ob Sie mit dieser Information gut bedient sind«, sagt Weinberger und streicht über die

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